Surprise, Surprise
Eine Liebesgeschichte voll artistischer Streitereien - atemberaubende Menschenpyramiden und Akrobaten, die mit spielerischer Leichtigkeit der Schwerkraft trotzen - drei kopfüber in Betonwürfeln feststeckende Männer, die sich von Musik in eine bessere Welt mitreißen lassen - ein Jongleur und Tüftler, der ein überdimensionales Windspiel in klingende Umlaufbahnen bringt und sein Publikum in anderen Sphären versetzt - das sind nur vier Schlaglichter auf das vielfältige Programm der vierten Ausgabe des ATOLL Festivals.
Mit über 50 einzelnen Veranstaltungen im und um das Kulturzentrum Tollhaus wird Karlsruhe vom 18. bis 29. September erneut zum Zentrum des zeitgenössischen Zirkus in Deutschland. Sehr zum Vergnügen der Besucherinnen und Besucher, die sich bereits in den drei Vorjahren von der kunterbunten, mal eher still-poetischen, mal expressiven-lauten Kunstform in den Bann ziehen ließen. Mit Künstlern unter anderem aus Australien, Frankreich, Belgien, der Schweiz, Finnland, Italien, Schweden, Island und Deutschland richtet ATOLL erneut den Fokus auf facettenreiche Entwicklungen des jungen Genres.
Eine allzu große Überraschung dürfte es nicht sein, dass sich ATOLL mit der vierten Ausgabe kräftig ausweitet. Schließlich waren schon in den Vorjahren die Nachfrage groß und die allermeisten Vorstellungen ausverkauft. Zudem hatte der Gemeinderat einer Zuschusserhöhung für das Tollhaus zugestimmt, um das ATOLL-Festival zu sichern. Stark ausgebaut wurde in diesem Jahr die Programmschiene Atoll Surprise, die betont frische Zirkuskunst unter anderem mit Stipendiaten des europäischen Förderprogramms CircusNext und dem deutschen Pendant ZirkusOn, aber auch eine Auftragsproduktion zweier Altmeister speziell für die frischrenovierte Fleischmarkthalle umfasst. Insgesamt sechs verschiedene Programme durchziehen die beiden Festivalwochen: von der unter freiem Himmel stattfindenden Kurzperformance von „Rita und Rita“ über die Vorpremiere von „Static“ des niederländischen Doppelmast-Virtuosen Monki Business und die Britin Laura Murphy (Foto) mit ihrem feministisch-artistischen Solokabarett „Contra“ bis hin zu zwei Doppelprogrammen, die jeweils mehrmals auf dem Programm stehen.
Von der großen Produktion „Backbone“, mit der die australischen Akrobatinnen und Akrobaten der weltweit gefeierten Compagnie Gravity & Other Myths Körper durch die Luft fliegen und auf Stangen hoch über den Köpfen balancieren lassen, bis zur intim-poetischen Materialrecherche „Mobilé“ des zwischen Bildender Kunst und Jonglage arbeitenden Deutschen Jorg Müller reicht das weite Spektrum des Programms in diesem Jahr. Während sich Laurent Cabrol und Elsa De Witte mit Bêtes de Foire - petit théâtre de gestes liebevoll-nostalgisch den Traditionen der Manegenkünste nähern, zeigt das belgische Akrobaten-Duo Cie Circocentrique virtuoses Körpertheater zwischen Tanz, Akrobatik und Komik. Abendfüllende Inszenierungen wie das postapokalyptische, komisch-verzweifelte Zirkusgedicht „Parasites“ der bretonischen Compagnie Galapiat stehen neben wenige Minuten kurzen kleinen Formen wie dem verblüffenden „Périples Immobiles“ der belgischen Formation Méli Mélo oder „Luna Park“ des Publikumslieblings De stijle, want. Einen Spaß für die ganze Familie verspricht nicht nur das clowneske Duo „Polly & Dolly“ sondern auch die artistische Liebesgeschichte „In guten wie in schlechten Zeiten“, mit der der Cirque Aïtal in Karlsruhe auftritt. Er kommt mit einem großen Zelt in den benachbarten Otto-Dullenkopf-Park und ist ab dem Eröffnungsabend drei Mal mit seinem Theaterzirkus voll furioser Akrobatik und rasantem Tempo zu erleben.
Gleich mit zwei Produktionen kommt die internationale Compagnie My!Laika, die ebenfalls im eigenen Zelt ihr bereits als Klassiker des Genres geltendes, unbeschreibliches absurd-furioses Zirkusdrama „Popcorn machine“ zeigt, andererseits mit ihrem brandneuen, musikalisch-poetischen Stück „Laerte“ das erste Deutschlandgastspiel nach der offiziellen Premiere in Karlsruhe gibt. Eine außergewöhnlich berührende Produktion ist das Stück „Sur la route“ der Compagnie Les Colporteurs, das im Tanz eines verletzten Körpers mit einem unversehrten eine ganz neuartige Schönheit der Bewegung erzeugt, die dem Schicksal abgetrotzt wurde. Mit der Uraufführung Common Ground ist nun auch erstmals ein vom ATOLL-Festival mitproduziertes Stück im Festivalprogramm. Dafür haben sich sechs erfahrene Zirkusartisten aus Deutschland und den Niederlanden zusammengeschlossen, um die Grundlagen der Gemeinschaft, das Miteinander sowie die Einzigartigkeit jedes Einzelnen mit Artistik am Schwungtrapez, am chinesischen Mast und Hand-auf-Hand-Akrobatik in einem sich ständig wandelnden Bühnenbild aus Holzwürfeln zu untersuchen.
> 18. bis 29. September 2019, Kulturzentrum Tollhaus, Alter Schlachthof und Otto-Dullenkopf-Park, sämtliche Infos auch zu ermäßigten Dauer-, Wochen- und Tageskarten unter www.atoll-festival.de