Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 12.2012
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Vortragskünstlerin Sonnenstern

„Oh, jetzt geht die Sonne auf“

Mit ihrem mittelalterlichen Kostüm wirkt sie wie aus der Zeit gefallen. Sie steht regelmäßig auf vielen Märkten in Nordbaden und rezitiert Gedichte und Balladen. „Schon in der Schule haben mich die Lehrer von Klasse zu Klasse geschickt, damit ich Gedichte vortrage“, erinnert sich die Karlsruher „Vortragskünstlerin“, wie auf der Visitenkarte von „Sonnenstern“ zu lesen ist, so der Künstlername von Uta Beeh. Wenn sie etwa jeden Mittwoch und Donnerstag Vormittag auf dem Karlsruher Stephans- und Gutenbergplatz Gedichte von Goethe, Schiller, Erich Fried oder Walther von der Vogelweide vorzutragen beginnt, rufen ihr die Markleute zu: „Oh, jetzt geht die Sonne auf“ - daher der Künstlername.

Uta Beeh ist eine Selfmade-Frau durch und durch, die aus der Not eine Tugend gemacht hat. „Das erste Studium habe ich geschmissen, beim zweiten kam mein erstes von vier Kindern“, skizziert sie ihr Leben. Es folgten Jahre als Hausfrau und Mutter, später eine Trennung. Im Jahr 2003 besann sie sich auf ihre Fähigkeiten und stellte sich in Durlach auf den Weihnachtsmarkt, nachdem sie als Straßenmusikerin schlechte Erfahrungen mit „Kollegen“ gemacht hatte. „Ich musste ja meine Kinder durchbringen.“ Ihre „arg ausgefallene Art“ als moderne Bänkelsängerin brachte ihr schnell Fans ein, negative Erfahrungen machte sie „eigentlich nie“. Auf einem Flohmarkt habe sich einmal eine Obdachlose eine Ballade gewünscht und ihr dafür nicht nur fünf Euro in die Hand gedrückt, sondern sie auch noch zum Essen eingeladen.

Inzwischen hat sie gerade in Karlsruhe einen großen Fankreis. Manche Zuhörer stimmen ihre Marktbesuche mit ihren Auftrittszeiten ab und wünschen sich bestimmte Gedichte, mit vielen kommt sie ins Gespräch. Ab und an sind dann Engagements zu Geburtstagen oder Hochzeiten die Folge oder sogar Einladungen zu Mittelalterfestivals wie auf Burg Windeck. „Reich werde ich damit nicht“, sagt sie, „und selbst wenn ich im Lotto eine Million gewinne, werde ich noch Gedichte auf den Märkten rezitieren.“ Es sei schließlich eine kulturelle Bereicherung im Einkaufstrubel, außerdem seien Märkte schon immer auch Orte des „geistigen Austauschs“ gewesen, die antiken Philosophen der Stoa trafen sich in der Athener Markthalle.
Im Winter werden ihre Auftritte seltener, „wenn es unter null Grad hat, hört mir keiner zu“.

In diesem Jahr wird sie jedoch auf dem Pforzheimer Weihnachtsmarkt zu hören sein. Der Veranstalter freue sich sehr auf sie, während sie vergangenes Jahr in einer anderen Stadt „verscheucht“ wurde, obwohl sie auch dort in Windeseile „Fans“ hatte.
„Sonnenstern“ tritt ohne Mikrophon auf und hat weder Schauspiel- noch eine Sprechausbildung. „Nach drei Stunden bin ich am Ende, aber glücklich“, lacht sie, trotz mancher Widrigkeiten. In Karlsruhe beispielsweise sei sie zwar vom Marktamt „inoffiziell geduldet,“ müsse aber alle zwanzig Minuten ihren Standort wechseln: „Allein Schillers Glocke dauert so lange.“
Inzwischen trägt sie auch eigene Gedichte, Geschichten und Märchen vor oder schmückt bekannte Märchen und Geschichten anderer Autoren phantasievoll aus. Und weil Geschichtenerzähler heute Vortragskünstler heißen, und weil Gedichte, Flötenspiel und Gesang niemanden reich machen, schlüpft sie ganz bürgerlich stundenweise in ihr Bürokostüm und geht noch einem „ordentlichen“ Job nach. -Matthias Kehle