Wenn auch auf dem Programm der 21. Europäischen Kulturtage unübersehbar Wolfgang Rihm prangt, gibt es im Rahmen des umfangreichen Festivals weit mehr als nur sein riesiges Werk zu entdecken. Zur europäischen Klanglandschaft Rihm tragen auch Wegbegleiter und Schüler des Karlsruher Komponisten bei, wie der 1967 geborene Karlsruher Markus Hechtle, von dem sowohl im Kinderkonzert zum Auftakt im Badischen Staatstheater (11.3., 11 und 15 Uhr) sowie im Hauptkonzert des Eröffnungswochenende (Konzertante Plastiken, Hochschule für Gestaltung, 16. + 18.3., jeweils 20 Uhr) Musik zu hören ist. Für die Klappe Auf unterhielt sich Johannes Frisch mit Markus Hechtle über den berühmten Lehrer, die zeitgenössische Musik und das Komponieren an sich.
Sie haben im vergangenen Semester an der Musikhochschule ein Seminar über Wolfgang Rihm gehalten. Was haben Sie den Studierenden als Wichtigstes über Ihren früheren Kompositionslehrer vermittelt´
Markus Hechtle: In der Auseinandersetzung mit den Werken von Wolfgang Rihm sind den Studierenden zwei Dinge sehr deutlich geworden. Nämlich, dass hier jemand ganz für seine Arbeit lebt und sich in permanenter Aufnahmebereitschaft und Auseinandersetzung befindet, und dass Rihms Werk ein einziges Plädoyer für die Freiheit der künstlerischen Arbeit ist.
Im Kontext der zeitgenössischen Musik gilt Wolfgang Rihm weltweit als einer der bedeutendsten lebenden Komponisten. Wie erklären Sie diesen riesigen Erfolg´
Hechtle: Da sind zunächst seine kreative Potenz und die durchgängig hohe Qualität seines immensen Werks. Ich habe mich in der Vorbereitung des Seminars mit zahlreichen seiner bereits über 400 Werke beschäftigt und empfinde es erstaunlich, dass bei all diesen so unterschiedlichen Angängen nichts als misslungen bezeichnet werden könnte. Dazu kommt Rihms Biographie. Er ist durch sein Erscheinen in Donaueschingen bereits mit Anfang 20 berühmt geworden und anfangs hatte er durchaus viel Kritik, zum Teil auch unter der Gürtellinie, einzustecken. Dennoch hat er unbeirrt weiter gearbeitet und sich in einem fortwährenden Schaffensstrom befunden. Das ist ein Phänomen und auch ein Grund für den späteren Erfolg.
Als Lehrer hat Wolfgang Rihm höchst unterschiedliche Komponistenpersönlichkeiten gefördert, von denen viele heute erfolgreich ihren Weg nehmen. Sehen Sie eine Gemeinsamkeit seiner Schüler´
Hechtle: Es gibt keine stilistische Rihm-Schule, gerade das will er ja auch selbst nicht. Wenn man sich die Arbeiten seiner Schüler anhört, gibt es kaum Gemeinsamkeiten. Viel eher in der Haltung, die die Schüler bei ihrem Lehrer fanden oder suchten und die ganz von der doppelten Verpflichtung zur Freiheit und zur Übernahme der persönlichen Verantwortung geprägt ist.
Was hatte für Sie den Ausschlag gegeben, Komponist zu werden´
Hechtle: Diese Frage habe ich Rihm ebenfalls gestellt, als er in unserem Seminar zu Gast war. Für ihn war die Sache sehr früh klar und er war von seiner Mission überzeugt. Das war bei mir ganz anders. Ich habe Instrumente gespielt, habe improvisiert und Ideen festgehalten. Dabei war mir aber lange keineswegs klar, Komponist zu werden. Auch heute hat das für mich längst nicht diese Selbstverständlichkeit.
Was schätzen Sie vor allem an ihrem Beruf, und was sehen Sie eher kritisch´
Hechtle: Ich liebe die Freiheit, die Musik schreiben zu können, die ich mir vorstelle. Die Kehrseite davon ist, dass wenn sich Zweifel einstellen - und das tun sie immer wieder -, dann bist du ganz auf dich gestellt, dann bist du ganz allein. Ganz abgesehen von den praktischen Problemen. Ich habe bislang das Glück, dass meine Musik stets zur Aufführung kam, aber ich habe kein grenzenloses Vertrauen, dass dies nicht einmal abreißen könnte. Für die Schublade zu komponieren wäre nicht meine Sache.
Ist das Hören Neuer Musik anstrengend´
Hechtle: Ja, mitunter schon, weil sie nicht exklusiv ist. Das heißt alle gängigen Formen unterhaltender Musik haben jede Menge Tabus, so dass der Hörer im Grunde immer weiß, was er erwarten kann. Schon ein ungerader Takt ist in der Popmusik die ganz große Ausnahme. Weil es in der zeitgenössischen Musik, wenn man sie unter der Doppelverpflichtung von Freiheit und Verantwortung versteht, aber keine Tabus geben sollte, bleibt sie unberechenbar. Auf der anderen Seite ist die Neue Musik selbst nicht ganz unschuldig daran, dass sich nur relativ wenige Menschen ihr zuwenden. Wenn man den Menschen 100 Jahre lang erklärt, sie wären zu dämlich, etwas zu verstehen, dann glauben sie es auch irgendwann. Das ist gerade bei Rihm auch ein Grund seines Erfolges, dass er das nicht tut und dem Zuhörer jede Freiheit lässt, sich seine Musik selbst zu erschließen. Dabei sind für ihn unterschiedliche Zugänge ausdrücklich erwünscht.
Wenn Sie ein Stück schreiben, was möchten Sie beim Publikum auslösen´
Hechtle: Ich wünsche mir, dass das Publikum gespannt dem folgt, was da passiert. Wir wollen von Musik bewegt werden, das ist einer der wesentlichen Gründe, warum Musik fast alle Menschen anzieht. Und das ist übrigens auch eine Aussage, für die Wolfgang Rihm von den Gralshütern der Neuen Musik in den 70er Jahren hart angegangen wurde.