Die Älteren werden sich noch erinnern. Vor 25 Jahren war die Angst vor dem Überwachungsstaat, vor dem Verlust der Privatsphäre und vor dem Missbrauch persönlicher Daten noch virulent in unserer Gesellschaft. Bevor das Jahr 1984 überhaupt angefangen hatte, wurden ständig die Vergleiche mit Orwells Anti-Utopie 1984 bemüht, um den Abwehrwillen gegen die vermeintliche Datensammelwut des Staates zu mobilisieren.
Nicht ohne Erfolg: Bereits 1983 kippte das Bundesverfassungsgericht das Volkszählungsgesetz und formulierte mit dem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung so etwas wie ein neues Grundrecht, das allerdings nicht Eingang in das Grundgesetz fand und aber dennoch wirkmächtig wurde, man denke nur an die Einrichtung der Stelle des Datenschutzbeauftragten in den Ländern und im Bund. Es geht um das Recht des Einzelnen, selbst über die Preisgabe und die Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Als es dann 1987 doch noch zu einer etwas kastrierten Volkszählung kam, gehörten Boykottaufrufe zur Begleitmusik, und ein Buch vom 2001-Versand mit guten Ratschlägen, wie man den Volkszählern ein Schnippchen schlagen kann, entwickelte sich zum Bestseller mit hundertausendfacher Auflage.
Und heute: Da geben wir unsere Daten fortwährend preis ohne Not, ob wir nun die Payback-Karte (der neumodische Ersatz der guten, alten Rabatt-Marken) eines Kaufhaus-Konzerns erwerben, im Internet auf einer Plattform mit Gleichgesinnten chatten oder uns gleich auf einer Webseite in aller Ausführlichkeit vorstellen mit Vita, privaten Fotos und einem Tagebuch, in das jedermann Einblick nehmen kann. Datenschutz was ist das´ Irgendein Wort aus lang vergangenen Tagen.
Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs heißt es in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Was machen wir mit diesem Anspruch´ Jeden Tag kann man im Fernsehen Mitmenschen sehen, die öffentlich schmutzige Wäsche waschen, die sich vor laufender Kamera zum Affen machen, die sich einen Schuldenberater ins Haus holen, weil sie zur ihrer großen Überraschung festgestellt haben, dass Waren bezahlt und Kredite zurückgezahlt werden müssen, die sich von einer Super-Nanny zeigen lassen, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben, die Millionen Fernsehzuschauer daran teilhaben lassen, wie sie auf Brautschau gehen.
Selbst im Kreißsaal ist nicht mehr nur der Papa, sondern auch immer öfter ein Kamerateam dabei. Privatsphäre scheiß drauf! Es fängt ja schon damit, dass man in Zug, in der Straßenbahn, auf der Fußgängerzone, selbst im Lokal ungefragt Ohrenzeuge wird wie jemand via Handy seiner sprachlichen Inkontinenz freien Lauf lässt und seine verbale Notdurft verrichtet. Die gelben Telefonzellen von einst gut waren gut verschließbar, kein Wort des privaten Telefongesprächs sollte nach außen dringen. Mittlerweile sind sie ausgemustert. Die Zelle wurde zur Säule verschlankt, beim Telefonieren steht man im Freien und jeder, der Lust hat, kann mithören, was man den Lieben daheim so zu sagen hat.
Die Angst vor dem gläsernen Bürger ist einer exhibitionistischen Lust an penetranter Selbstdarstellung und Selbstentblößung gewichen, nicht bei allen, aber bei viel zu vielen. Im Namen der Sicherheit wird unser Handel und Wandel von Videokameras in öffentlichen Räumen verfolgt, werden unsere Telefondaten gespeichert und Reisepässe mit biometrischen Daten ausgestellt. Früher war es so, dass der Bürger ein gesundes (nur manchmal etwas überzogenes) Misstrauen gegenüber Vater Staat entwickelt hat, mittlerweile hegt der Staat ein ungesundes Misstrauen gegenüber seinen Bürgern, die er schon mal vorsorglich als potentielle Terroristen betrachtet.
Neben dem Big Brother Staat gibt es noch viele andere, nicht viel kleinere große Brüder, die nur zu gerne wissen wollen, was mir so machen, denken und auf dem Konto haben. 60 Jahre nach Verkündigung des Grundgesetzes sollte es etwas stärker ins öffentliche Bewusstsein dringen, dass wir nicht ohne Grund Grundrechte haben, darunter auch das Recht unsere Persönlichkeit vor dem Datenzugriff von allen Seiten zu schützen. Wem das egal ist, der hat wohl nichts zu verbergen, nicht einmal eine Persönlichkeit.