Die schönen Tage von Heiligendamm sind vorbei und alle sind zufrieden, die Gastgeberin Angela Merkel, weil die mächtigsten Industriestaaten sich darauf geeinigt haben, in Betracht zu ziehen, die globalen CO2- Emissionen bis 2050 um 50 Prozent zu senken (Und wir alle freuen uns mit: Hurra, hurra, der Klimakatastrophe ist abgewendet, die Arktis schmilzt nicht ab, Holland geht nicht unter. Danke Angie!) und auch die Organisatoren der Demonstrationen, zumindest einer, der etwas von dem bunten, schönen Bild faselte, dass die Demonstranten abgegeben hätten. Ein Sprecher von Attac verstieg sich gar zu der Behauptung, die Demonstrationen hätten die Welt verändert. Dabei kann man sicher sein, dass die Welt nicht nur die Demonstrationen, sondern auch den mit ungeheurem Aufwand in Szene gesetzten Gipfel bald vergessen haben wird.
Wer will kann mit sich selbst die Probe aufs Exempel zu machen. Nennen Sie aus dem Stegreif die Schauplätze der G8- Gipfel der letzten zehn Jahre. Na, da kommt nicht viel rüber. St. Petersburg vielleicht noch. Aber was um Himmels willen, wurde da beschlossen´ Dann war da doch noch dieses schottische Bergnest Glenirgendwas oder so ähnlich - und Genua natürlich, das hat man sich gemerkt, weil damals ein Demonstrant auf der Strecke geblieben ist. Diese Form von Publicity ist dem G8-Gipfel von Heiligendamm glücklicherweise erspart geblieben, trotz massiver Anstrengungen des Schwarzen Blocks entsprechende Polizeigewalt zu provozieren. Aber vielleicht haben die Sicherheitspolitiker und Einsatzleiter so etwas wie klammheimliche Schadenfreude nach den ersten Aussschreitungen empfunden.
Die schwarzen Schafe unter den Demonstranten lieferten ihnen nachträglich die Argumente für den aberwitzigen Sicherheitsaufwand, für Stacheldrahtverhau, Bannmeilen, Wasserwerfer-Einsatz und das größte Polizei-Aufgebot in der Geschichte der Republik. Was hätte man mit einem solchen personellen, logistischen und finanziellen Aufwand nicht alles machen können´ Zum Beispiel: Die Neonazi-Nester in Städten wie Halberstadt, Hoyerswerda und Wismar (und natürlich auch anderswo) ausheben und den rechtsradikalen Gewalttätern einmal unmißverständlich klar machen, wer in diesem Staat das Gewaltmonopol hat. Und sollten die rasierten Hohlschädel noch nicht straffällig geworden sein (weil das Gröhlen von Naziliedern, das Anpöbeln von Mitmenschen offenbar nicht ausreicht), so könnten sie doch wagemutige Polizisten, die getarnt als harmlose ausländische Mitbürger oder als bunte Theatertruppe durch die so genannten No Go-Areas flanieren, zu jenen Straftaten verleiten, die die braunen Herrschaften für ein paar Jahre hinter Gittern bringen würden. Das nur mal so als kleiner Vorschlag zur Güte.
Das wäre auf jeden Fall sinnvoller als Zivilbeamte bei den Demonstranten einzuschleusen und so mit zu der Randale beizutragen, die man anschließend bekämpft. Wobei ja nicht zu leugnen ist, dass es offenbar eine Klientel gibt, für die ein Scheinereignis wie der G8-Gipfel eine schöne und seltene Gelegenheit darstellt mit besten Gewissen, wenn auch mit schwacher ideologischer Fundierung, das eigene Gewaltpotential von der Kette zu lassen. Und das auch noch unter den Augen einer internationalen Öffentlichkeit, die so staunend erfährt, dass es neben dem braungefärbten, auch ein schwarz verkapptes, allzeit gewaltbereites Deutschland gibt. Na, da wären doch ein paar Danksagungen aus dem Schwarzen Block in Richtung Angela Merkel und G8-Organisatoren angebracht: Danke Angie, dass du uns dieses wunderbare Spiel- und Schlachtfeld bereitet hast; am besten, damit das Dankschreiben auch wirklich ankommt (bei der Post ist man da ja nicht so sicher), um einen Ziegelstein gewickelt durch ein Fenster des Kanzleramts geworfen.
Leider wurde bei der Vorbereitung der Anti-G8-Demonstrationen, die sich über 18 Monate hingezogen haben soll, nie eine Lösung in Erwägung gezogen, die mir als die mit Abstand sinnvollste, friedlichste und verblüffendste erscheint. Überhaupt nicht zu demonstrieren, nicht hinzugehen nach Heiligendamm, dem G8-Gipfel einfach die kalte Schulter zeigen. Stell dir vor, es ist Gipfel und keiner geht hin. Was wären das für Bilder gewesen, Polizeihundertschaften, die sich die Zeit mit Mensch ärgere dich nicht- Spielen oder Bockspringen vertreiben, ein Sicherheitszaun, den kein Schwein überklettern will, leere Gefängniskäfige und ein im Rollstuhl rotierender Innenminister, der Gott und die Welt nicht mehr versteht. Aber was bekam man stattdessen zu sehen: Plakate, die deutlich machten, dass die, die sie präsentieren, gegen Hunger und Armut sind. Geschenkt!
Wie die Gipfelgegner sich die Gestaltung der globaliserten Welt vorstellen, wurde nicht mal in Ansätzen erkennbar. Dafür bekam man mit, wie geschickt sie die Polizei ausgetrickst haben, um an den vermaledeiten Zaun zu kommen. Tolle Leistung! Aber wäre es nicht toller gewesen, wenn der alternative Gipfel im Rostock mehr Beachtung gefunden hätte als ein redlicher Versuch Schneisen des Verstehens in die immer undurchsichtiger werdende globale Ökonomie und Ökologie zu schlagen´
Schade, schade, die Chance ist verpasst. Aber wenn die Mächtigen dieser Welt und die (fast) Ohnmächtigen auf der anderen Seite des Zauns lieber ihre Spielchen spielen, ihre Rituale zelebrieren, bitte schön. Man sieht sich wieder bzw. wieder nicht beim nächsten G8 Gipfel in Japan.