Auf dem Handybildschirm erscheint ein Gesicht nach dem anderen. Wisch nach links und weg, wisch nach rechts, vielleicht könnte die oder der ja mal ein näheres Kennenlernen lohnen? Knapp neun Prozent der Deutschen nutzen Dating Apps, um Menschen - vorzugsweise aus ihrer Umgebung - kurzfristig kennenzulernen, heißt es. Dass angeblich über 40 Prozent der Nutzer von Tinder, Grinder, Bumble und Co. verheiratet oder in einer festen Beziehung gebunden sind, gehört zu den Merkwürdigkeiten des aktuellen Zeitphänomens, das beileibe nicht nur die eigentliche Zielgruppe zwischen 18 und 35 Jahren erfasst hat. Kammertheater-Intendant Ingmar Otto hat das dies zum Anlass für sein jüngstes Musical genommen, das am 5. April im Kammertheater uraufgeführt wird. Musikalisch zeitgemäß befeuert von aktuellen Hits, die vor allem dem deutschsprachigen Rock- und Popbereich entstammen, vom Schweizer Songwirter Faber, von der Frankfurterin Alice Merton, von Alin Coen, Peter Fox oder AnnenMayKantereit.
Na klar habe er selbst schon über Tinder gedatet! Als Ingmar Otto die Idee kam, darüber ein Musical zu machen, habe er sich die App aufs Handy geladen und fleißig sich zu verabreden begonnen. Natürlich habe er auch theoretisch recherchiert und einschlägige Ratgeber studiert. Dass man sich nicht zum ersten Treffen gemeinsam an einem Tisch verabreden, sondern lieber zu einem Spaziergang verabreden solle, habe er gehorsam befolgt. Auch den Tipp, vor einem ersten Date nicht allzulange hin- und herzumailen, damit sich die Vorstellung vom Gegenüber sich nicht zu sehr verfestige, kann Otto nachvollziehen. Der Ratschlag, nicht beim ersten Beschnuppern bereits eine Entscheidung zu fällen, scheint ihm hingegen fragwürdig, wenn sich doch kein einziger Grund fände, der Zufallsbekanntschaft noch einmal begegnen zu müssen.
Zunächst hatte Otto vor allem gereizt, über etwas so „Untheatralisches“ wie eine Handy-App ein Bühnenstück zu schaffen. Daneben bietet freilich das Dating-Portal, die zeitgenössische Variante des Kennenlernmarktes, eine reizvolle Spielfläche für Liebesgeschichten aus der Gegenwart: „Im Grunde machen Menschen, die heute Tinder nutzen, auch nichts anderes, als jene, die in den 90ern in den Discos rumhingen, um sich gegenseitig abzuchecken“, sagt Otto. Anhand exemplarischer, pointiert witziger oder tragikomischer Paarbeziehungen spielt Tinder - das Musical das ewig zeitlose Motiv der Paarfindung, der Beziehungsaufnahme und -pflege unter den aktuellen Bedingungen durch, eingebunden in den Rahmen einer Show, der das sangesstarke Ensemble in musikalischer Topverfassung zeigen soll. Dass die Musik nicht vom Band, sondern live von einer Band kommt, ist bei Kammertheater-Musicals Ehrensache.
> ab 5. April 2019, in der Regel mittwochs bis sonntags, Kammertheater, Herrenstraße 32, Karlsruhe