Er war Physiker am KIT, von 1987 bis 2004 SPD-Vertreter im Karlsruher Gemeinderat, nicht zuletzt aber auch Gründer und über vier Jahrzehnte lang Leiter zweier renommierter Orchester der Karlsruher Universität. Mit einem Konzert am 2. März im Karlsruher Konzerthaus übergibt Dieter Köhnlein nun im Alter von fast 83 Jahren den Taktstock des Sinfonieorchesters in jüngere Hände, im kommenden Jahr soll der Abschied vom Kammerorchester folgen. Klappe Auf unterhielt sich mit dem vielseitig begabten und engagierten Mann.
Herr Köhnlein, in ihrem Leben verbanden sich Politik, Naturwissenschaft und Musik. Was davon war Ihnen das Liebste und wie verbinden sich für Sie diese drei Gebiete miteinander?
Dieter Köhnlein: Mit dem Herzen liebe ich vor allem die Musik, aber auch die Naturwissenschaft hat mir immer große Freude gemacht. Glücklicherweise habe ich mich beruflich für die Physik entschieden. Das hat mir ermöglicht, die Musik weiter zupflegen, das wäre umgekehrt vermutlich so nicht gegangen. Schon als Grundschüler in der Zeit des Krieges hat mich das Lesen der Tageszeitung brennend interessiert. Mein Vater war unter dem Nationalsozialismus als Pfarrer der Bekennenden Kirche in Heidelberg im Widerstand, und wir Kinder mussten sehr aufpassen, was wir weitererzählten. Das hat mich geprägt. Später in den 60er Jahren habe ich für die Friedenspolitik von Willy Brandt gekämpft und bin dann auch in die SPD eingetreten.
Warum hat es Ihnen nicht gereicht, selbst zu musizieren oder zu singen? Wieso begründeten sie im Lauf der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gleich mehrere Orchester?
Köhnlein: Wir hatten mit den Orchestern Gastspielreisen auf alle Kontinente außer Australien und haben zahlreiche erste Bundespreise erhalten. Dabei war ich immer der einzige nicht professionelle Dirigent, denn ich habe mir das Dirigieren selbst beigebracht. Das zeigt, dass es in der Musik nicht unbedingt darauf ankommt, was man studiert hat. Als Dirigent geht es um den Kontakt mit den Menschen, das kann man nicht lernen, wie ein großer Dirigent einmal sagte. Die Orchestergründung war eigentlich ein Zufall. Ich habe immer Kammermusik gemacht und versehentlich trafen sich Mitte der 70er Jahre einmal zwei Gruppen bei uns zur Probe, das war die Geburtsstunde des Universitätsorchesters und seiner Erfolgsgeschichte. Weil der Zuspruch bald so groß war, mussten wir das Orchester teilen, so entstand dann das Kammerorchester.
Wenn Sie ein Werk der klassischen Tradition interpretieren, welchen Anspruch haben Sie dabei vor allem?
Köhnlein: Das ist die Werktreue, nichts dazu tun und nichts weglassen, alles steht in den Noten. Als Dirigent sollten Sie ihren Mitspielern das historische Umfeld nahebringen und dann sollte man es schaffen, diese für die Musik zu begeistern. Für eine gelungenes Konzert braucht es ein gutes Programm, ein gutes Orchester, einen guten Raum und - das ist sehr wichtig - ein verständiges Publikum, dann wir es zum Erfolg. Als Dirigent spüre ich das Publikum im Rücken, das ist eine magische Verbindung. Ich merke sofort wenn es sich langweilt.
Die Karlsruher Kulturveranstalter beklagen oft, dass die Karlsruher Studierenden, die sich ja in erster Linie mit Naturwissenschaften beschäftigen, nicht besonders kulturinteressiert seien. Wie haben Sie das erlebt?
Köhnlein: Das stimmt nicht. Ingenieure, Naturwissenschaftler und Architekten, wir haben alle möglichen Sparten in unseren Orchestern, und nie haben wir Nachwuchssorgen. Alleine am KIT gibt es vier Orchester und dazu Chöre. Wer allerdings selbst Musik macht, geht auch weniger in Konzerte, weil er lieber selbst spielt. Tatsächlich aber gibt es bestimmte Kanäle, in denen sich die kulturell Interessierten bewegen, und die Klassikfreunde oder die Theaterbegeisterten bleiben meistens unter sich.
Wie steht es um die Zukunft des Sinfonieorchesters des KIT, wenn Sie jetzt den Taktstock abgeben?
Köhnlein: Anders als andere habe ich frühzeitig für meine Nachfolge gesorgt und den Nachwuchs gepflegt. Der zweite Geiger, der gegenwärtig noch in Basel Musik studiert, wird die Orchesterleitung übernehmen.
Können Sie folgende Frage in drei Sätzen beantworten? Wie haben sich Universität, Politik und Musikleben in den vergangenen vier Jahrzehnten vor allem verändert?
Köhnlein: In der Universität bedaure ich vor allem ein Hervortreten der bürokratischen Dinge, die die Forscher oft von ihrer eigentlichen Aufgabe abhalten. Die Politik hat sich wesentlich durch die Aufsplitterung der Parteienlandschaft und eine neue Neigung zu Nationalismus und populistischen Positionen verändert. Das sind Verhaltensmuster, die uns schon vor knapp 100 Jahren ins Verderben geführt haben, aber das gilt ja nicht nur für Deutschland, wir sind da eher noch am Anfang. Was die klassische Musik angeht, war das Interesse vor 30, 40 Jahren deutlich größer, aber umso wichtiger ist heute die Aufgabe, diese Kultur weiterzutragen.