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Archiv: 11.2006
Verschiedenes Herbies Cartoon

 

Da wo, die Berge sind, da wo die Liebe wohnt

Bild - Da wo, die Berge sind,  da wo die Liebe wohnt
(Bild: Hugi Hugel)


Es ist schon etwas länger her, da wurden in den öffentlich-rechtlichen Programmen Filme von Fellini, Truffaut, Chabrol, Antonioni und sogar Pasolini zur besten Sendezeit ausgestrahlt - jüngere Semester können ja schon mal ein bischen rumgooglen, um heraus zu finden, um wen es sich den bei oben genannten Herrschaften handelt.
Mittlerweile findet das große europäische Kino der 60 und 70er in der ARD und ZDF, wenn überhaupt noch, so um Mitternacht statt, zwischen 23.30 Uhr und 2.30 Uhr, wenn fast alles schläft und noch der Video- bzw. DVD-Recorder wacht - vorausgesetzt, er ist richtig programmiert. Und das aktuelle europäische Kino wird nicht besser behandelt. Wie gesagt, es ist schon etwas länger her, damals gab es noch kein Privatfernsehen, und als das Privatfernsehen dann aufkam und sich immer breiter machte, da schworen die Programmverantwortlichen von ARD und ZDF Stein und Bein, dass sie sich nie und nimmer auf das Niveau der privaten Konkurrenz begeben würden.
Natürlich gibt es sie immer noch, die guten deutschen Fernsehfilme, die interessanten, fundierten Dokumentationen, aber ich (und nicht nur ich) werde das Gefühl nicht los, es werden immer weniger. Statt dessen gibt es in Hülle und Fülle Telenovelas, Krankenhausserien, Daily Soaps, Krimiserien. Der Dokumentarfilm ist auf den Hund gekommen, genauer gesagt, auf „Eisbär, Affe & Co“ , so heißen die Zoogeschichten aus der Stuttgarter Wilhelma, die sich zum Glück für die Zoobesucher im Fernsehsessel nicht überschneiden mit den Kölner Zoogeschichten, die das ZDF eine Stunde vorher ausstrahlt.
Und es gibt vermehrt die Schmonzetten zur besten Fernsehzeit, für die Autorinnen wie Rosamunde Pilcher, Utta Danella, Inga Lindström die Vorlagen liefern.
Liebesleid und Liebesfreud vor schöner Kulisse, das ist angeblich das Erfolgsrezept für dicke Einschaltquoten, Cornwall, die schwedischen Schären und die bayrisch-österreichische Gebirgswelt sind die bevorzugten Schauplätze und fast immer lacht die Sonne. Die Akteure wohnen in der Regel in schmucken Häuschen mit unverbaubarem Blick auf einen See, auf das Meer, auf die Alpen, „da wo, die Berge sind“ , „da wo die Liebe wohnt“, um die Titel von zwei Filmen mit dem Almdudler Hansi Hinterseer zu zitieren, die sich nahtlos in die Reihe der oben genannten Filme fügen.
Im August hatte der Bundesverband Regie, dem Film- und Fernsehregisseure angehören in einem offenen Brief an die ARD-Intendanten die „Degetoisierung“ (nach der Produktionsgesellschaft „Degeto“) der Fernsehkultur beklagt: „Statt mit ausdrucksstarken vielfältigen Fernsehspielen aufzuwarten, werden wertvolle Sendeplätze des Hauptprogramms mit sogenannten Schmonzetten aus einem dramaturgischen Einheitsbrei gefüllt“. Wie sehr sich die Intendanten die mahnenden Worte zu Herzen genommen haben, zeigt der neue Degeto-Streich. Als deutsch-österreichisches Pendant zu den beim ZDF federführenden Damen Rosamunde Pilcher und Inga Lindström wurde eine gewisse Lilly Schönauer aus dem Hut gezaubert. „Nanu, wer und was ist das denn´“ fragen sich da selbst eifrige Frauenroman-Leserinnen.
Die Antwort gibt der Produzent Ronald Mühlfellner: „Lilly Schönauer ist reine Fiktion, ein Label, wenn man so will, ein Markenzeichen für schöne Gefühle“. Und ARD-Programmdirektor Günter Struve fügt hinzu: „Wir zeigen nicht die Ehe mit allen Misslichkeiten, wir zeigen den Weg dorthin. Immer triumphiert dort die Liebe, immer gibt es ein Happyend - mit Umwegen und Aufregungen inmitten schöner Landschaft“, die, so füge ich hinzu, so geleckt und steril aussieht, als würde sie als Playmate des Monats posieren.
Ein bischen Kitsch darf und muss vielleicht auch sein bei einem Vollprogramm, das es vielen recht zu machen versucht. Aber was ist mit mir und vielen anderen, die nach der „Tagesschau“ nach härterer, nahrhafterer Fernsehkost verlangen, denen der dramaturgische Einheitsbrei partout nicht schmecken mag. Oder erfüllt die ARD vielleicht auf ganz hintersinnige Weise ihren Kultur- und Bildungsauftrag, in dem sie „die Kitschfenster sperrangelweit“ aufreißt („Spiegel“) und somit ein Zeitfenster für viele eröffnet sich wirklich kulturell zu betätigen, z.B. endlich mal wieder ein Hörspiel oder ein interessantes Radiofeature zu hören, ins Kino zu gehen oder auch ein gutes Buch zu lesen. Ja, wenn das so ist, dann kann man nur sagen: Danke, danke liebe gute, alte, weise Tante ARD.