"Den Blick für scheinbar Unbedeutendes und Alltägliches schärfen“
Am 1. Mai jährt sich die Gründung des Badischen Kunstvereins zum 200. Mal. Die seit 1900 im prachtvollen Bau in der Waldstraße 3 residierende Einrichtung ist nicht nur einer der ältesten Kunstvereine Deutschlands, sondern auch die älteste Institution der Bildenden Kunst in Karlsruhe. Klappe Auf sprach mit der Direktorin Anja Casser über die Bedeutung der Kunstvereine und das umfangreiche Jubiläumsprogramm, das nach einer viermonatigen Umbauphase im Mai startet.
Die nach 1800 gegründeten Kunstvereine gelten als Ausdruck einer Emanzipationsbestrebung und Schritt in die moderne demokratische Gesellschaft. Inwieweit ziehen die Kunstvereine diese Tradition in die Gegenwart?
Anja Casser: Bei den Gründern des Badischen Kunstvereins handelte es sich ausschließlich um Vertreter des gehobenen Bürgertums und des Adels, die ihren eigenen Raum für Kunst beanspruchten, die bis dahin ausschließlich im höfischen oder kirchlichen Kontext zu sehen war. Ein emanzipatorischer Aspekt der Kunstvereine war von Anbeginn die Konzentration auf Werke der Gegenwartskunst. In ihrer Struktur als von Bürgerinnen und Bürgern getragene Vereine unterscheiden sich die Kunstvereine auch noch heute von den meisten Museen und Kunsthallen. Am Anfang waren die Ausstellungen in den Kunstvereinen Ver-kaufsausstellungen, die den Bürgerinnen und Bürgern den Kunsterwerb ermöglichten und mit der Entstehung des Kunstmarktes eng verbunden waren. Heute verfolgen die Kunstvereine in besonderem Maße einen hohen Bildungsauftrag, indem Kunst nicht nur ausgestellt, sondern auch an eine möglichst breit gefächerte Öffentlichkeit vermittelt wird. In einer modernen demokratischen Gesellschaft sind Kunstvereine genau die Orte, an denen die Kunst gegenwärtige soziale, politische und kulturelle Prozesse offensiv hinterfragen kann und auf eine Freiheit und Offenheit trifft, die im institutionellen Kunstkontext einzigartig ist.
Wieso eröffnet der Badische Kunstverein sein 200-jähriges Jubiläumsjahr mit einer eher historischen Retrospektive wie KwieKulik und nicht mit einer zeitgenössischen Position?
Casser: Zofia Kulik und Przemysław Kwiek arbeiteten von 1971 bis 1987 als Künstlerduo unter dem Namen KwieKulik. Zofia Kulik ist noch heute eine bekannte und international ausstellende Künstlerin. KwieKulik versuchten bereits während ihres Studiums an der Kunstakademie in Warschau die traditionelle Kunstpraxis radikal in Frage zu stellen, stattdessen neue, experimentelle Methoden und Formate zu entwickeln sowie die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft neu zu definieren. Ihre emanzipatorische Herangehensweise und Infragestellung herrschender Systeme steht beispielhaft für eine Bewegung der Avantgarde, der sich auch die Programmatik des Kunstvereins immer verpflichtet fühlt. Insofern ist die Ausstellung im Ansatz historisch, im Ergebnis aber höchst aktuell und zukunftsweisend. Das Jubiläum eröffnet aber nicht nur mit dieser Ausstellung, sondern auch mit einem umfangreichen Programm aus Vorträgen, Führungen, Exkursionen und Workshops. Wir eröffnen einen temporären Festraum als Club 2.0.0 im Lichthof des Kunstvereins, ein Barprojekt und die Umgestaltung des Foyers. Das Jubiläumsprogramm wird bis Dezember im Festraum stattfinden.
Welche in die Zukunft weisende Impulse setzt der Badische Kunstverein zum 200-Jährigen?
Casser: Alle Projekte des Jubiläumsjahres wurden im Hinblick auf die Ausstellungsgeschichte des Vereins konzipiert und in Kooperation mit vielen Partnerinnen und Partnern durchgeführt. Ziel war, die Geschichte neu zu lesen, den Blick für scheinbar Unbedeutendes und Alltägliches zu schärfen, möglichst viele noch lebende Protagonistinnen und Protagonisten zu Wort kommen zu lassen. Dafür wurden verschiedene Formate entwickelt – beispielsweise ein Hörspiel, eine Archiv-Website oder ein Songprojekt – um die Historie auf vielfältige Weise erlebbar zu machen. Dazu gehört auch die Grafik des Jubiläumsjahres, die mit Collagen historischer Ausstellungsplakate und Schriftzüge des Kunstvereins arbeitet. Der Fest-Raum im Lichthof orchestriert das gesamte Programm und nimmt Aspekte der Ausstellungsgeschichte formal wie inhaltlich auf. Geschichte wird nicht kunsthistorisch festgeschrieben, sondern aus verschiedenen Richtungen befragt, durchstöbert, aufgedeckt und für zukunftsweisende Diskurse geöffnet. Statt einer dicken Jubiläumspublikation wird eine Archiv-Website etabliert, die ausgewählte Artefakte aus der Ausstellungsgeschichte digitalisiert und in einer narrativen Struktur zugänglich macht. Interviews werden geführt und aufgenommen, um die subjektiven Erinnerungen für die Zukunft lebendig zu halten.
> 4. Mai bis 1. Juli 2018, KwieKulik (Eröffnung 3.5., 18 Uhr) und Jubiläumsprogramm I im Festraum, Badischer Kunstverein, Waldstraße 3, Di-Fr 11 - 19 Uhr, Sa/So/Feiertage 11 - 17 Uhr
jeden Mittwoch, 18 Uhr, Mittwochs im Kunstverein mit Vorträgen, Diskussionen, Workshops und Stadtspaziergang, Programm unter badischer-kunstverein.de
> 1. Mai bis 27. Mai 2018 Its Interior / and a Facade, Von den Architekturen des Badischen Kunstvereins, Eine Ausstellung im Architekturschaufenster e.V. Karlsruhe, Waldstraße 8, Mo–Do 9–12 und 14–16 Uhr, Fr 9–12, Sa.–So. 12–17 Uhr, Feiertags geschlossen