Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 10.2006
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Guerilla Musik-Marketing

Neethio verschenkt CDs

Guerilla Marketing nennt man es, wenn man sich seinem Publikum mit ganz direkten, ungewöhnlichen Marketingmethoden nähert. So wie es in den vergangenen Wochen der 27jährige Karlsruher Nicolai L. (der bürgerliche Nachname wäre nicht popkarrieretauglich) alias „Neethio“ angepackt hat: Bei mehreren Robbie Williams-Konzerten (in München, Köln und Hockenheim) hat er sich mit Freunden aufgemacht, vor die Ausgänge gestellt und den herausströmenden Robbie-Fans jeweils ein Exemplar seiner selbstproduzierten CD „I won’t ever be the same“ in die Hand gedrückt. Der Trick: Die Stücke der verschenkten CD werden immer wieder unterbrochen von der Werbebotschaft, dass die Stücke bei allen Online-Stores im Internet heruntergeladen und gekauft werden können.
„Die meisten meiner Freunde, denen ich das vorher erzählt habe, fanden die Idee ziemlich gut. Nach dem Motto: Das hat noch niemand probiert...“ Mit seinem besten Freund, der eine Agentur hat, plant er seine Guerilla-Attacken. Generalstabsmäßig, vernunftgesteuert. Der Mann sieht nicht aus wie ein Guerillero, er ist Informatiker, sein Kampf ist subtiler. Und er hatte es satt, sich den Gesetzen der großen Plattenfirmen zu unterwerfen, bei denen er keine Chance sah, unterzukommen. Und wenn, das hat er sich ausgerechnet, wäre er mit vielleicht fünf Prozent des Verkaufserlöses jeder CD dabei. Die Artist & Repertoire Leute der großen Plattenfirmen in Deutschland setzten konsequent auf das falsche Pferd: Auf Superstar Shows, bei denen letztendlich die Sendung der Star sei, und die Talente, so vorhanden, schnell wieder in der Versenkung verschwänden.
In England würden ständig neue Talente entdeckt, James Blunt zum Beispiel. Obwohl Neethios Musik durchaus radiotauglicher, abwechslungsreicher und (im eigenen Studio) produzierter Mainstream Pop ist. „Meine Stimme legt mich fest, das passt nicht in den Rockbereich“, sagt er. Seine Musik entsteht von der Idee bis zur Umsetzung zunächst konventionell, danach beginnt er im Studio zu feilen, gelegentlich auch mit Gastmusikern. Er sieht sich als Songwriter/Produzent. Schon mit 15 hat er angefangen, Musik zu machen – und seine Studiokenntnisse hat er u.a. bei der Welle, beim SWR und in Edo Zankis Studio erworben und vertieft. Das Produkt gibt es als Download („die Leute, denen ich die CD geschenkt habe, haben ja jetzt schon mal das komplette Booklet“), aber natürlich auch „physisch“ über seine Homepage zu bestellen.
Er macht sich keine Illusionen, dass er auf diesem Wege schnell „berühmt“ werden könnte. Aber man kommt ins Gespräch: „In vielen Online-Foren wird meine Aktion diskutiert. Am 1. August gab es 10 Treffer unter „Neethio“ bei Google, zwei Wochen später waren es 20.000.“ Immerhin erreichte er so die Aufmerksamkeit einiger Medien: „Das Ding“ brachte einen Beitrag, beim Regionalfernsehen rtv war er, und einige Zeitungen haben berichtet. Es könnte noch mehr sein, sagt er. Wenn er sich einmal leisten kann, seine Musik Live mit „richtigen“ Musikern auf die Bühne zu bringen, dann ist er einen entscheidenden Schritt weiter. Aber bis dahin, das sieht er ganz realistisch, braucht man einen langen Atem. Und eventuellen Angeboten von Major Companies würde er unterwegs widerstehen. „Dann hab’ ich ja wieder nur fünf Prozent!“ lacht er. -tz