Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 06.2016
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To Go or Not To Go

Bild - To Go or Not To Go
Mag sein, dass ich altmodisch bin, aber Genuss hat für mich viel mit zur Ruhe kommen zu tun, ist für mich ein mal längeres, mal kürzeres Aussteigen aus der Alltagsmühle, aus dem Hamsterrad, in dem sich viele von uns mehr oder minder freiwillig bewegen. Essen und trinken und auch rauchen, wenn ich es denn täte, will ich im Sitzen, notfalls an einem Imbiss oder in einem Stehcafé. Nur so kann ich sehen - das Auge isst mit - und schmecken, was ich zu mir nehme, kann mir das Essen auf der Zunge zergehen, den Wein oder auch das Bierchen gemächlich meinen Gaumen umspülen lassen. Nebenbei ist es ja auch nicht so einfach im Gehen mit Messer und Gabel zu essen und sich z.B. ein Schnitzel mit Pommes und Salat einzuverleiben. Aber wer weiß, was sich die Lebensmittelindustrie noch alles einfallen lässt, vielleicht Schniposa to go im praktischen Wegwerfschüsselchen, eine sämige Masse, die man einfach so weglöffeln kann, notfalls, wenn sie sämig genug ist, nachdem sie durch den Mixer gejagt wurde, auch schluckweise zu sich nehmen kann. So abwegig ist der Gedanke nicht, immerhin ist zusammengemixtes Obst mit dem schmeichelnden Namen „Smoothie“ schon seit längerem auf dem Markt. Gemüse in flüssiger Form gibt es mittlerweile auch, Resteverwertung im Stil der Zeit, die mich allerdings von ferne an die Nahrungsbreie erinnert, die Vogeleltern ihrer noch flugunfähigen Brut in die aufgerissenen Schnäbelchen hineinwürgen. Ja, ich weiß, dass es längst Essen gibt, das man aus der Hand essen kann, in den Innenstädten reiht sich eine Freßbude an die andere, gibt es Döner, Pizzen, Pseudochinesisches en masse, zum Sitzen laden die Buden eher selten ein, eher zum Weitergehen, und so tragen auch noch der Anblick von im Gehen mampfenden und trinkenden Zeitgenossen zur fortschreitenden Verhäßlichung der Stadtzentren bei, vom Müll der dabei anfällt gar nicht zu reden. Oder doch? Alle Anstrengungen zur Reduzierung von Müll, darunter das vielgescholtene Dosenpfand, der Eindämpfung des Verpackungswahnsinns wurden über den Haufen geworfen durch den unaufhaltsamen Siegeszug des Coffee to go, des Kaffees zum Mitnehmen, in Pappbechern, die danach in den öffentlichen Müllkörben landen, wenn überhaupt. Dass Kaffee mal als Genussmittel galt, dass Cafés Orte der Besinnung, des gepflegten Gesprächs, der geistigen Regeneration waren, dürfte nur als blasser Widerschein früherer Epochen wahrgenommen werden. Wiener Kaffeehauskultur adé, es hat mich sehr gefreut! Der Rest ist Schweigen, Gehen, Schlucken, Wegwerfen. Das ungenannte Vorbild moderner Essens- und Flüssigkeitsaufnahme scheint die Astronautennahrung zu sein, problemlos in der Schwerelosigkeit aufzunehmen, Geschmack Fehlanzeige, aber Hauptsache die Nährwerte stimmen. Ich – und hoffentlich auch noch ein paar andere – überlasse mich lieber sitzend der Schwerkraft und stärke meinen ruhenden Organismus mit dem Genuss eines guten Essens oder eines Kaffees, in und mit der Gesellschaft, die mir behagt. Genießen und Gehen, das passt einfach nicht zusammen.

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