Im Jahr nach dem Stadtgeburtstag soll Karlsruhe den Gürtel enger schnallen. Die Stadt will auch im Sozialbereich sparen. Kurz vor den Gemeinderatsberatungen über ein erstes Sparpaket unterhielt sich Klappe Auf mit Ulrike Sinner, der Geschäftsführerin der Regionalgeschäftsstelle des Paritätischen, des in Karlsruhe größten Wohlfahrtsverbandes, und dem für Soziales und Sport zuständigen Bürgermeister Martin Lenz.
Warum gibt es bislang aus dem Sozialbereich keine Klage über die Sparpläne, trifft es dessen Einrichtungen nicht so stark?
Ulrike Sinner: Natürlich trifft es die sozialen Einrichtungen hart, fünf Millionen in sechs Jahren einzusparen. Öffentlich ist erst seit vergangener Woche bekannt, wie der stark aufgegliederte und komplexe Sozialbereich gekürzt werden soll. Wir Wohlfahrtsverbände brauchen da Reaktionszeit und müssen erst einmal übersetzen, was die Sparmaßnahmen für die Bürgerinnen und Bürger bedeuten. Sicher ist, dass sie Familien, Frauen, insbesondere wohnungslose und von sexueller Gewalt betroffene Frauen, aber auch alte Menschen betreffen werden. Das sind Personengruppen, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen und sich auch nicht selbst zu Wort melden.
Wie soll das Sparen bei den Trägern der Wohlfahrtspflege vor sich gehen? Welche Vorgaben wurden hier gemacht?
Sinner: Zunächst wird der Gemeinderat darüber zu entscheiden haben, ob er der von der Verwaltung erarbeiteten Kürzung einzelner Sozialprojekte zustimmt oder die von uns favorisierte Alternative einer Kürzung der städtischen Zuwendungen um neun Prozent beschließt. Unsere Bereitschaft zu solch einem Einschnitt muss aber damit verknüpft sein, dass es dann dabei bleibt und mit den angekündigten nächsten Sparpaketen keine weiteren Einschnitte für die Wohlfahrtsverbände folgen. Unsere Vorstellung ist, dass jeder Verband und jede Organisation selbst darüber bestimmt, wie sie den geforderten Betrag einspart, denn nur die Basis weiß, wie die jeweiligen Projekte finanziert sind und ob etwa mit einer Mittelkürzung auch eine Kofinanzierung gefährdet ist. Ziel muss sein, die Auswirkungen auf die Bevölkerung so gering wie möglich zu halten.
Welchen Anteil am Haushalt ihrer Mitglieder machen denn die städtischen Zuschüsse aus?
Sinner: Das kann ich absolut nicht beziffern, denn Organisationen wie die AIDS-Hilfe, die Arbeitsförderungsbetriebe, der kleine Verein Arbeitskreis Leben oder der große Landesverband für Prävention und Rehabilitation, die Lebenshilfe oder das Frauenhaus sind schon allein von der Größe so verschieden und stützen sich neben einem Stamm Hauptamtlicher in ganz unterschiedlichem Maße auf ehrenamtliche Mitarbeiter. Dabei erhalten längst nicht alle unserer 116 Mitglieder überhaupt städtische Zuschüsse. Mindestens 40 Projekte vom Tagestreff bis zur Beratungsstelle werden aber von den Neun-Prozent-Kürzungen betroffen sein und müssen pro Jahr 300.000 Euro einsparen. Einzelne Angebote werden sicherlich geschlossen werden. Das sind dann bittere, aber zwangsläufige Entscheidungen.
Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie bei den Sparmaßnahmen und wo schmerzt es vermutlich am meisten?
Sinner: Dazu kann man derzeit noch ganz wenig sagen. Uns als Paritätischen ist es aber besonders wichtig, für gleiche Chancen Sorge zu tragen. Auch die Stadt Karlsruhe wurde für ihre Anstrengungen in dieser Richtung bisher bundesweit gelobt und ausgezeichnet, worauf sie zu Recht stolz ist. Dass dies in Gefahr gerät, schmerzt schon besonders. Beispielsweise die Halbierung des Fahrdienstes, der bisher Schwerbehinderten zwei wöchentliche Ausflüge etwa zum Einkaufen oder zum Kulturbesuch ermöglichte. Da werden die Schwächsten Opfer, zumal unsere neuen Straßenbahnen alles andere als rollstuhlgerecht sind. Oder der steigende Bedarf etwa bei der Wohnungslosenhilfe, wir haben erfolgreiche Projekte, die nun gekürzt werden. Das passt nicht gut zusammen. Wir müssen ehrlich sagen, dass wir uns in Karlsruhe von bestimmten Standards verabschieden. Man sagt zwar, der Zuschuss an die Organisationen und Verbände werde gekürzt, aber dahinter steht die Infrastruktur für unzählige Ehrenamtliche, deren Arbeit nun schwieriger wird. Damit wird auch dem bürgerschaftlichen Engagement geschadet, ohne das in vielen Bereichen nichts geht, und das einer Stadt sehr gut tut.
Gibt es gegenwärtig neue Herausforderungen, denen aufgrund der Kürzungen nicht angemessen begegnet werden kann?
Sinner: Ganz klar, die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird ins Stocken kommen. Die Herausforderung der älter werdenden Gesellschaft - die Altersarmut wird zunehmend zum Problem, auch wenn sie in unserer Stadt noch nicht so spürbar ist. Auch der Bereich der psychischen Erkrankungen ist ein „Wachstumsmarkt“, auf dem Selbsthilfeorganisationen gefragt sind und Unterstützung brauchen. Und auch der seit Jahren unveränderte Sockel der Langzeitsarbeitslosen erfordert gute Konzepte, die aber auch mit Kosten verbunden sind.
——————————————-
Herr Bürgermeister Lenz, welche Gefühlen begleiten Sie beim gegenwärtigen Haushaltsstabilisierungsprozess?
Martin Lenz: Ich bin ein Mensch, der auch bei negativ behafteten Dingen - und das sind Haushaltskonsolidierungen - die Chancen sucht. Von daher herrschte bei mir sogar Freude, als wir uns vor über einem Jahr an die Sache machten. Denn wann zuvor - seit ich Bürgermeister bin - wurde der Wert sozialwirtschaflichen Handelns je beachtet? Wir sind in meiner Behörde gut gerüstet und können jetzt beweisen, dass soziales und wirtschaftliches Handeln keine Gegensätze sind. Als Beispiel nenne ich hier unser gerade bundesweit vielgefragtes Modell „Wohnraumaquise durch Kooperation“. Wohnungslosen eine Wohnung zu verschaffen, ist die preisgünstigste Lösung, integriert und spart jede Menge Kosten. Das heißt bessere soziale Versorgung bringt bessere finanzielle Ergebnisse. Eine in zwei Klausurtagungen entstandene Dokumentation über die „Ausgestaltung der Leistungen im Bereich Jugend und Soziales“ hilft uns enorm, unsere Wirtschaftlichkeit nachzuweisen, denn sie verschafft Transparenz über unser Berichtsystem und das ausgeprägte Controlling, das wir in meinem Bereich seit Jahren pflegen.
An welchen Punkten der städtischen sozialen Daseinsfürsorge kann aus ihrer Sicht am ehesten gespart werden?
Lenz: Potenziale gibt es überall. Die Verbindung von Sport und Sozialem ist mir ein besonderes Anliegen. Es gibt zum Beispiel das Projekt „Sport auf der Straße“, eine tolle Errungenschaft. Da geht nun ein Mitarbeiter in Rente, den wir zunächst nicht ersetzen werden. Damit werden das Projekt und die Kosten quasi halbiert. Das ist zwar ein Lieblingskind von mir, aber die Reduktion gefährdet nicht den sozialen Frieden.
Welche Potenziale haben sich durch den verwaltungsinternen Sparvorschlagsprozess erschlossen und wie beurteilen Sie dieses Verfahren im Nachhinein?
Lenz: Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war das mehr als eine Herausforderung. Aber auch wenn der Prozess mitten im Sommer parallel zum Stadtgeburtstag eine immense Anstrengung bedeutete, hat er die Mitarbeiter dennoch zufrieden gestellt, weil wirklich alles auf den Tisch kommen konnte. Jetzt muss von den Vorschlägen allerdings auch einiges umgesetzt werden, damit die Mitarbeiter nicht am Ende das Gefühl haben, die ganze Arbeit war für die Katz’.
Das erste Sparpaket liegt auf dem Tisch. Weitere Pakete sollen folgen. Worum kann es dabei in Ihrem Bereich gehen?
Lenz: Jetzt haben wir einen Riesenkatalog von vielen kleinen Maßnahmen, die dem Gemeinderat zur Abstimmung vorliegen. In einem zweiten Schritt muss es dann um Dinge gehen, die größere Beiträge einbringen können. Dabei werden auch heilige Kühe auf den Tisch kommen. Als Beispiel nenne ich die Elternbeiträge bei den Kitas - das wird heiße Diskussionen geben.
Wo darf Ihrer Meinung nach keinesfalls gespart werden?
Lenz: Bei der Armutsbekämpfung. Sie ist das soziale Markenzeichen dieser Stadt. Welche andere Stadt widmet ihr in ihrer Jubiläumsschrift ein eigenes Kapitel?
Für viele Bürger ist klar, dass Karlsruhe sich mit Großprojekten übernommen hat und deshalb sparen muss. Was sagen Sie dazu?
Lenz: In meinen Augen sind das Investitionen, die Ertrag bringen werden. Das Wildparkstadion kommt 20 Jahre zu spät. Hätte man es damals gebaut, hätten wir vermutlich eine ganz andere Dynamik gehabt. Wenn nun als Teilersatz für die Europahalle eine Ballsporthalle für den PSK entsteht, der im Basketball nach dem doppelten Aufstieg in die 2. Bundesliga auch im Bezug auf Sponsoren hervorragend aufgestellt ist, wird dies nur strikt nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten kommen können. Überhaupt brauchen wir keine Schuldigen zu suchen. Wir leben in einer Demokratie und da haben alle den Hut auf. Alle konnten mitdiskutieren, und die gewählten Vertreter haben beraten und beschlossen.