Über 100 Veranstaltungen verzeichnet das Programmheft für die Wochen gegen Rassismus, die in Karlsruhe vom 10. bis 23. März stattfinden und 2016 vor allem unter dem Thema „Antiziganismus“ stehen.
Zur offiziellen Eröffnung am 10. März um 20 Uhr im Rathaus kommt der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Er stellt heraus, dass anders etwa als der Antisemitismus die Vorbehalte und Diskriminierungen gegenüber seiner nationalen Minderheit gesellschaftlich immer noch nicht geächtet seien und in breiten Bevölkerungsschichten rassistische Klischees gegen „Zigeuner“ vorherrschten. Wie viele Menschen mit familiären Wurzeln bei Sinti und Roma etwa in Karlsruhe leben ist unbekannt, zumal viele Angehörige ihre Herkunft aus Furcht vor unterschwelligen oder unverhohlenen Ressentiments lieber verschweigen.
Einen Ort für Begegnung und Austausch zu schaffen und Informationen über die mehr als 600-jährige Geschichte dieser Minderheit in Deutschland zu verbreiten, dieser Aufgabe widmet sich eine ganze Reihe der Veranstaltungen. So gibt es am 12. März, eine Exkursion zum „Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma“ in Heidelberg mit dem Zentralrats-Vorsitzenden Romani Rose. Als vergnügliche Gesellschaftskomödie demonstriert am 16. März in der Schauburg der Fernsehfilm „Frau Roggenschaubs Reise“ mit Hannelore Hoger erfrischende Selbstverständlichkeit im Umgang zwischen Minderheit und Mehrheit, ohne dass die Geschichte von Sinti und Roma in Deutschland vergessen wird. Unter dem Titel „Typisch Zigeuner?“ werden in einer Ausstellung im Kulturzentrum Tollhaus Mythos und Wirklichkeit gegenübergestellt und prominente Sinti- und Roma-Persönlichkeiten vorgestellt. Die Porträtierten reichen von Charles Chaplin über Rita Hayworth und Marianne Rosenberg bis zum Halbschwergewichtler Johann „Rukeli“ Trollmann, dem 1933 die Deutsche Meisterschaft aberkannt worden war, weil er „Zigeuner“ war, und der 1943 im KZ Neuengamme ermordet wurde. Dass „Antiziganismus“ beileibe kein deutsches Phänomen ist und Sinti und Roma heute in anderen Ländern Europas aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert, häufig kriminalisiert, verfolgt und von gewalttätigen Übergriffen bedroht werden, thematisieren die Tage unter anderem in einem Vortrag von Jovica Arvanitelli am 15. März im Tollhaus, der sich der Lebenswirklichkeit von Sinti und Roma in den sogenannten sicheren Herkunftsländern auf dem Balkan widmet, von wo zahlreiche Flüchtlinge auch nach Karlsruhe strömen.
Als „ein bisschen antizyklisch“, aber „wichtig“ bezeichnet Christoph Rapp, Mitarbeiter im Karlsruher Kulturamt, das Schwerpunktthema der Wochen gegen Rassismus, die sich zusammen mit den laufenden Kinderliteraturtagen und den im April folgenden Europäischen Kulturtagen zum Thema „Wanderungen“ zu einem sich inhaltlich ergänzenden Veranstaltungsreigen verbinden.
Rapp hatte 2013 mit großem Engagement und kleinem Team die Wochen gegen Rassismus erstmals in der Fächerstadt auf die Beine gestellt. Unverzichtbar sind ihm dabei die weit über 100 Partner, Gruppen und Einrichtungen, Initiativen, Einzelpersonen und Künstler, die sich mit ihren Angeboten in das vielfältige Programm einbringen. Das Spektrum reicht dabei vom Rockfestival gegen Rassismus im Substage über zahlreiche Vorträge, Lesungen und Aufführungen bis zu einer Reihe von Workshops etwa zum Umgang mit „HateSpeech im Internet“ oder dem bewussten Umgang mit dem „Weiß-sein“. Ob „Köln“ die Bankrotterklärung des interreligiösen Dialogs bedeute, fragt eine Veranstaltung der christlich-islamischen Gesellschaft am 9. März im Gemeindesaal der Lutherkirche. Mit dem Umgang der Medien mit Migranten und Flüchtlingen und der Frage, ob es es ein „Schweigekartell“ in Deutschland gebe, beschäftigt sich die Duisburger Sprachwissenschaftlerin Iris Tonks am 11. März in der Geschäftsstelle der Karlsruher AWO. „Probleme dürfen nicht bagatellisiert werden, auch was die Sicherheit auf der Straße und die Medien angeht. Frauenfeindliche Übergriffe treffen auch `Gutmenschen´. Jeder muss sich auch an der eigenen Nase packen“, sagt Christoph Rapp, der keine Alternative zum ehrlichen Dialog und der persönlichen Begegnung sieht. Beste Möglichkeit hierzu bietet am 20. März das Vielfalt-Fest im Tollhaus, zu dem im vergangenen Jahr weit über 1000 Menschen kamen.
„Wenn da einer rausgeht, der sagt‚ ‚die Flüchtlinge sind alle Schmarotzer, nur nicht der Mustafa, den hab ich jetzt kennen gelernt‘, dann ist das schon ein kleiner Erfolg“, so Rapp.