Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 11.2015
Theater, Comedy, Show Theater und Show

 

Vergissmeinnicht

Als im April an die Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren erinnert wurde, fand Bundespräsident Gauck klare Worte für den Völkermord, den die türkische Regierung bis auf den heutigen Tag als „armenische Lügen“ abtut. Gauck hatte auch auf die Mitverantwortung und Mitschuld der Deutschen hingewiesen, die dem osmanischen Kriegsverbündeten zumindest politisch und diplomatisch Beihilfe zum Völkermord an den vermeintlichen Russland-Kollaborateuren leisteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in Deutschland keine Bereitschaft, für einen zweiten Völkermord Verantwortung zu zeigen. „Ich glaube, das war hierzulande einfach ein extrem unpopuläres Thema, das keiner anfassen wollte,“ sagt Stefan Otteni, der gegenwärtig in Karlsruhe Ferdinand Bruckners Schauspiel „Die Kinder des Musa Dagh“ probt. Über ein halbes Jahrhundert war das erst 1996 uraufgeführte Stück ungespielt geblieben. Der deutsch-österreichische Autor und Theaterleiter hatte es im amerikanischen Exil aus dem historischen Roman des Schriftstellers Franz Werfel destilliert, um dem Widerstand der 5000, letztlich wie durch ein Wunder geretteten Menschen auf dem Musa Dagh, einem Berg am Mittelmeer, ein theatralisches Denkmal zu setzen. Für Otteni ist das Stück brandaktuell, denn es zeigt am Beispiel des Schicksals einer Familie politische Mechanismen, die auch heute noch zum Tragen kommen: „So wie die Deutschen damals die osmanischen Bundesgenossen gewähren ließen, schweigt heute der große Alliierte Obama dazu, wie die im Kampf gegen den IS mit den USA verbundene Türkei mit den Kurden umgeht,“ sagt Otteni, der in Karlsruhe mit dem erfolgreichen „Maienschlager“ über die Liebe zwischen einem Hitlerjungen und einem jungen Juden seinen differenzierten Umgang mit Themen der Zeitgeschichte bewies. „Schon dabei haben wir befürchtet, dass des schweren Themas wegen die Leute nicht ins Theater kommen, aber wenn man die Geschichte auf Einzelschicksale herunterbricht, sind die Menschen schnell gepackt.“ Dem gebürtigen Karlsruher geht es darum, existenzielle Fragen aufzuwerfen, in diesem Falle Fragen nach Identität und Behauptung, Heimat und Solidarität, Fragen die tatsächlich aktueller kaum sein könnten. Um die Inszenierung nicht mit zuviel historischen Erklärungen befrachten zu müssen, hat das Staatstheater unter dem Titel „Vergissmeinnicht“ ein Festival zu Geschichte und Gegenwart Armeniens zusammengestellt, bei dem man auch Kunst und Kultur, Musik und Küche, Filme, Tanz und Folklore des Volkes kennenlernen und die Fragen nach Schuld, Verantwortung und gemeinsamer Zukunft diskutieren kann.

> Vergissmeinnicht Armenienfestival vom 21. bis 29. November, „Die Kinder des Musa Dagh“ Premiere am Sa 28. November, Badisches Staatstheater Karlsruhe, Baumeisterstraße 11

Badisches Staatstheater

Hermann-Levi-Platz 1

76137 Karlsruhe

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