„Es ist schwer in einem Land voller Schnee und Eis einen Ort zu finden, wo es nie schneit. Aber Putin hat es geschafft“, sagt der vor kurzem ermordete Boris Nemzow in einer Dokumentation über die Winterspiele in Sotschi. Ja, in der Tat, Putin hat es geschafft, die Wintersportler aus aller Welt an einer Ort zu holen, der auf demselben Breitengrad wie Nizza liegt. Unsummen hat es gekostet, unter anderem eine riesige Sporthalle auf einem sumpfigen Untergrund zu errichten und eine Skisprungschanze auf einem Hügel, der stets abzurutschen droht. Angeblich sollten die Sportstätten später weiter genutzt werden, der dortigen Bevölkerung und dem Tourismus zu Gute kommen. Ein Jahr danach sind viele Sportstätten verwaist, aber einen Hoffnungsschimmer gibt es. Die Russen selbst machen verstärkt Urlaub in Sotschi, weil sie sich wegen der wirtschaftlichen Sanktionen und der damit einhergehenden Entwertung des Rubels keinen Auslandsurlaub mehr leisten können.
Woraus man mal wieder sieht, dass alles Schlechte auch sein Gutes hat.
Nur etwas Gutes an Putin zu finden, fällt mir verdammt schwer und schwer fällt es mir auch der Argumentation von Leuten zu folgen, die Putins aggressive Politik gegenüber der Ukraine und die Anektion der Krim verteidigen und Verständnis für ihn einfordern als Vollstrecker legitimer russischer Interessen. Den zunächst mal abwertend gemeinten Begriff „Putin-Versteher“ heften sich mittlerweile einige mit Stolz an die Brust, es gibt sogar eine entsprechende Webseite (www.putinversteher.info) und in diversen linken Foren werden penibel die Fehler und Ungereimtheiten der hiesigen Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt aufgelistet. Das ist legitim, aber man könnte ja wenigstens ein paar Sätze darüber verlieren, dass in den russischen Medien mit allen möglichen propagandistischen Mitteln Tag für Tag ein Zerrbild der Ukraine abgeliefert wird, die offenbar, wenn es sich nicht gerade um Angehörige der russischen Minderheit handelt, von Faschisten bewohnt wird. Wobei sich dann allerdings die Frage stellt, was dieses Etikett noch bedeutet, wenn es von einem Regime gebraucht wird, das viele Merkmale des Faschismus erfüllt: antidemokratisch, aggressiv, nationalistisch, auf einen Führer fixiert.
Dass den russischen Medien ihre Fehler und Lügen öffentlich vorgehalten werden dürfen, ist mir nicht bekannt. Während ich aus den westlichen Medien durchaus erfahren habe, dass bei den Demonstrationen am Maidan auch extrem nationalistische Gruppen ihr Süppchen gekocht haben, dass die Ukraine zu großen Teilen immer noch um ein ungefestigtes, von Korruption und Misswirtschaft geprägtes Gemeinwesen ist. Das sind aber keine Mängel, die sich dadurch beheben lassen, dass sich Russland ein Teil des Territoriums unter den Nagel reißt. Aber das tut es ja auch gar nicht, wenn man der russischen Propaganda glauben darf: Danach nehmen die von ihren ukrainischen Mitmenschen(pardon: Faschisten) drangsalierten Russen einfach ihr Selbstverteidigungsrecht mit zufällig herumliegenden Schnellfeuergewehren, Panzern, Kanonen und anderem Kriegsgerät wahr, unterstützt von ein paar robusten Russen aus Russland, die mal gerade in der Ukraine Urlaub machen wollten.
Man muss Obama für kein Unschuldslamm, EU und Nato nicht für die Achse des Guten halten, um klar auszumachen, wer hier der Angreifer ist, wer das Völkerrecht mit Füßen tritt. Hat Putin nicht behagt, dass das Brudervolk seinen Herrscher verjagt und damit ein fatales Signal für das mögliche Ende seiner eigener Herrschaft ausgesendet hat oder wollte er außenpolitisch die Muskeln spielen lassen, weil es ihm innenpolitisch nicht gelungen ist, sein Riesenreich wirtschaftlich voranzubringen?
Es ist leichter ein Volk unter einen Helm als unter einen Hut zu bringen, hat ein kluger Mann mal gesagt. Die Richtigkeit dieser Behauptung erweist sich einmal mehr am Beispiel von Putin und Russland. Den Preis dafür, dass ein Volk mit martialischen Auftreten und Weltmachtsgehabe bei Laune und bei der Stange gehalten wird, zahlen die Ukrainer und bald vielleicht auch noch die früheren von der Sowjetunion zwangsbeglückten Nachbarstaaten, die für die schlimmsten Putin-Versteher kaum mehr sind als Spielfiguren in der Hand von Mütterchen Russland. Ganz ehrlich: Mir leuchtet nicht ein, worin das Bedrohungspotential der restlichen Welt gegenüber einem Staat liegt, der in seiner territorialen Ausdehnung nahezu doppelt so groß ist wie die USA, der über jede Menge Bodenschätze verfügt, der ein autarkes, reiches Land sein könnte, wenn er nicht von korrupten, machtgeilen Oligarchen ausgebeutet und von einem narzisistischen, kaltherzigen Ex-Geheimdienstler mit autistischen Zügen regiert werden würde, der es aber immerhin fertigbringt der Welt, Sotschi als einen Wintersportort und Russland als verfolgte Unschuld zu verkaufen.