Die Krawatte, so lese ich auf einer Internetseite für Männermode und Lifestyle, sei rein pragmatisch betrachtet, unnütz, unpraktisch, lästig und gefährlich: Unnütz, weil man keine Schlinge mehr brauche, um den Hemdkragen zu schließen; unpraktisch, weil sie beim Händewaschen und Essen stört, ständig von Flecken bedroht sei und weder richtig gewaschen noch gebügelt werden könne; lästig, weil sie dauernd im Weg ist, besonders bei Gegenwind – und gefährlich, weil sie im Verdacht steht, Sauerstoffmangel im Gehirn, Augenerkrankungen oder gar Kehlkopfkrebs auszulösen. Trotzdem, steht dann trotzig da, sei sie das wichtigste Accessoire des modernen, korrekt gekleideten Mannes. Ich habe selten in meinem gar nicht so kurzen Leben Krawatten getragen, so selten, dass ich sogar nahezu sicher bin, mich an jedes einzelne Mal zu erinnern. Es waren in der Regel feierliche Anlässe, die mich dazu nötigten, dieses Kleidungsstück anzulegen, das keinen offensichtlichen Zweck dient, als eben dem, nach außen hin zu bezeugen, jetzt wird’s feierlich. Man könnte auch sagen: Jetzt ist Schluss mit lustig. Denn sobald man mit mehr oder weniger Mühe das Stoffteil angelegt hat, bewegt man sich anders, versteift sich die Körperhaltung, als hätte man sich gerade selbst an die Kandare genommen. Bei Leuten, die Tag für Tag Krawatten tragen, mag sich das vielleicht etwas anders anfühlen, sie signalisieren eben nicht, dass etwas Besonderes auf sie zukommt, sondern dass sie etwas Besonderes sind oder zumindest etwas Besonderes leisten. In den höheren Rängen der Wirtschaft und der Politik herrscht ganz offensichtlich Krawattenzwang, davon kann man sich Tag für Tag beim Blick in die Nachrichten überzeugen,jedenfalls bis vor kurzem. Denn seit neuestem tummeln sich auf der europäischen Bühne zwei Politiker aus Griechenland, die grundsätzlich und demonstrativ auf Krawatten verzichten, der neue griechische Ministerpräsident Alexis Zypras und sein Finanzminister Giannis Varoufakis. Allein schon äußerlich scheinen sie mit ihrem Auftreten ihren krawattenbehangenen Kontrahenten von der EU zu signalisieren,macht euch doch mal locker, lasst die Etikette und die Förmlichkeiten beiseite, reden wir von Mensch zu Mensch und nicht von Entscheidungsträger und Entscheidungsträger. Gemeinhin signalisiert das Lockern beziehungsweise Ablegen der Krawatten bei Familienfeierlichkeiten den Beginn des gemütlichen, inoffiziellen Teil des Abends mit verstärkter Alkoholzufuhr und ausufernden Vertraulichkeiten, die man glücklicherweise am nächsten Morgen schon wieder vergessen hat. Diese Art von Gemütlichkeit dürfte Zypras und Varoufakis nicht vorschweben, die ja allein schon äußerlich wenig Ähnlichkeit haben mit Onkel Erwin. Ihre zur Schau getragene Lockerheit ist einfach nur eine Aufforderung, auch die Sparpolitik, die Schlinge um den Hals des griechischen Volkes zu lockern. Während ich dies schreibe, ist es noch nicht ausgemacht, dass sie mit mit ihrer Strategie Erfolg haben werden oder die Herren von der EU, weil sie sich möglicherweise auf den Schlips getreten fühlen, weitere Hilfspakete für die Griechen verweigern, was wohl zur Folge hätte, dass es den Herren Zypras und Varoufakis im eigenen Land an den (offenen)Kragen ginge. Es wäre schade drum, denn ganz ehrlich: Wenn für Griechenland schon wieder die Vertreter der bislang dort herrschenden politischen Parteien angetreten wären, um die Kohlen aus dem Feuer zu holen, hätte das keine Sau mehr hinterm Ofen vorgelockt. Die Herrschaften haben schon oft genug gezeigt, dass ihre korrekt gebundenen Krawatten nur dazu da sind zu verbergen, dass sie alles andere als eine weiße Weste haben. Die Herren Zypras und Varoufakis, die nicht nur auf die Krawatte, sondern auch auf den luxuriösen Dienstwagen verzichten, vermitteln zumindest das Bild eines anderen, weniger von der Lebenswirklichkeit der Betroffenen abgehobenen Politikstils. Das mag eine Illusion sein, aber eine Illusion ist doch auch der Anschein der Seriosität, den die Krawattenträger verbreiten. Einen Nachteil hätte es freilich, wenn das Krawattentragen in den oberen Rängen der Gesellschaft aus der Mode kommen würde. Der Verzicht auf die Krawatte wäre dann weitgehend witzlos, die symbolische Wirkung für die Katz.