Ich muss bekennen, der Gutmensch gehörte in das Repertoire meiner Feindbilder. Für einen Polemiker war er ein einfach zu treffendes Ziel. Mittlerweile ist er ebenso wie der unwillkürlich mit ihm verbundene Begriff Politische Korrektheit durch häufigen gedan-kenlosen Gebrauch ausgefranst und abgenutzt. Damals in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts waren die Attacken auf den Gutmenschen eine berechtigte Abwehr gegenüber den gutgemeinten Schwachsinnigkeiten, die im Zuge der in den USA grassierenden und die tollsten Blüten treibenden Political Correctness (PC) auch bei uns um sich griffen. Die liebste Beschäftigung der guten Menschen, die auf dieser Welle schwammen, war die korrekte, keine Minderheit diffamierende, Mann und Frau gleich behandelnde, ja überhaupt alle Ungleichheiten tilgende Sprachkosmetik, die mit so schönen Formulierungen wie „geistig Herausgeforderte“ für geistig behinderte Mitmenschen aufwartete, die sich, so weit ich weiß, nicht durchgesetzt hat, während sich der Doppelung, die jede Rede streckt, nicht einmal die konservativsten CSU-Politiker entziehen können, auch wenn es nur zu einem vernuschelten „Meine lieben Wähler und Wähler“ reicht. Die pure Absicht zählt und das ist das Problem bei und mit den Gutmenschen, die neben anderen auch meine Wenigkeit damals abzuwatschen versuchte, dieses Maulheldentum, dieser Antifaschismus ohne Faschismus, dieses zur Schau getragene grenzenlose Verständnis für die vermeintlich Ausgegrenzten, Unterdrückten und sozial Benachteiligten. Wenn ein brutaler Rüpel seine Mitschüler drangsaliert und permanent den Klassenfrieden stört, wird zunächst danach gefragt, welchen schlimmen Traumata der Arme erlitten, was ihm die Gesellschaft angetan haben muss. Lehrer und Mitschüler haben so viel wohlmeinende Empathie auszubaden. Aber, so habe ich schon vor siebzehn Jahren, geschrieben, „die zumindest verbale Umarmung und Heimholung der Gestrauchelten dieser Gesellschaft hört auf, wenn der Betreffende seinen Vandalismus mit Nazi-Parolen verkleistert. Dann ist der Ruf 'Nazis raus' stärker vernehmbar als die Forderung nach Integration und Rehabilitation, dann schwillt die antifaschistische Ader des guten Deutschen stärker an als seine soziale.“
Nach wie vor halte ich Männlichkeit und Weiblichkeit für kein gesellschaftliches Konstrukt, sondern für eine natürliche Tatsache, mit der die Gesellschaft so oder so umgehen kann, und die sogenannte Gender-Forschung für eine pseudowissenschaftliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Akademikerinnen. Aber nun komme ich endlich zu dem Punkt, warum mir die Schlagworte „Gutmensch“ und „politisch korrekt“ zumindest teilweise als unbrauchbar erscheinen. Als Gutmenschen werden längst auch Mensch tituliert, die tatsächlich aktiv versuchen Gutes zu tun, sei es in ihrer Nachbarschaft, ihrem Stadtteil, ihrer Gemeinde oder gleich in der ganzen Welt. Man mag darüber streiten, ob das, was derjenige tut, die Menschheit wirklich voranbringt, ob Entwicklungshilfe oder ein Engagement in Organisationen wie Amnesty International oder Greenpeace sinnvoll ist , ob wandernden Kröten über die Straße geholfen oder ein Feuchtgebiet vor Bebauung gerettet werden muss. Aber wer selbst den Arsch nicht hochkriegt, wer den lieben Gott einen guten Mann sein lässt, der sollte vielleicht einfach das Maul halten. Zudem lege ich keinen Wert auf die Gesinnungsgenossenschaft eines Henryk M. Broder, der sich während des Irakkriegs feixend mit einem George W.Bush T-Shirt präsentiert, oder eines Matthias Matussek, der auf einmal seinen Katholizismus stolz wie eine Monstranz vor sich her trägt. Nur weil mir vieles an der linken Weltsicht nicht stimmig und fragwürdig vorkommt, muss ich mich nicht in die Arme der Kirche mit ihrer – weiß Gott - fragwürdigen Geschichte und Gegenwart werfen, nur weil ich kein ausgesprochener Fan von Conchita Wurst bin, muss ich nicht das Hohe Lied der herkömmlichen Familie singen. Wer liest, schaut und googelt, wird oft genug feststellen, dass das Wort „Gutmensch“ auch von denen gebraucht wird, die ein materielles Interesse daran haben, dass alles so bleibt, wie es ist, vor allem die ungleichen Vermögensverhältnisse, und dass es immer öfter auftaucht als Kampfbegriff der Rechten und der Rechtsextremen. Dass Gutmensch eine Nazivokabel ist, das ist schlicht und einfach Quatsch. Aber wenn ein Begriff, der in seinen Anfängen dazu diente, sich gegen den Gesinnungsterror zur Wehr zu setzen, hohle Phrasen zu entlarven, aus Aufgeblasenheiten die Luft rauszulassen, also der Aufklärung zu dienen, nun von denen im Mund geführt wird, die das Geschäft der Gegenaufklärung betreiben, wird es Zeit sich von ihm zu verabschieden. Tschüss Gutmensch! Mach´s besser!