Die machen Karaoke-Shows, und das ist alles. Das ist so was von jenseits... Das, was Helmut Bieler-Wendt da entdeckt hat, ist eine der Unzulänglichkeiten des Musikunterrichts an Grund- und Hauptschulen. Wenn es überhaupt Unterricht gibt, und wenn er überhaupt von Fachlehrern erteilt wird. Da fühlt sich der Geiger, Musikpädagoge, Komponist und Vorsitzende des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung in Darmstadt gefordert. Das Institut fördert zeitgenössische Musik aller Bereiche und ihre pädagogische Vermittlung. Vom 19.-22. April schafft das Institut mit seiner 60. Frühjahrstagung den Rahmen für Begegnungen: Zwischen Komponisten, Interpreten, Wissenschaftlern, Pädagogen und der musik- und kunstinteressierten Öffentlichkeit. Mit Konzerten, Vorträgen, Seminaren und Workshops auch und speziell für Kinder und Jugendliche. (www.neue-musik.org)
Ich kam dazu, weil ich der bin, der ich bin sagt Bieler-Wendt auch über sein Engagement für ein Projekt der Drogeriemarktkette dm, das der Misere des Musikunterrichts im Kindesalter etwas entgegensetzen will. Er entwickelte das pädagogische Konzept der Initiative ZukunftsMusiker, bei der 1600 Kinder und Jugendliche bundesweit sich in mehrwöchigen Schnupperkursen mit einem Instrument und den Grundlagen der Musik vertraut machen können. Jedes Kind ist musikalisch ist seine feste Überzeugung, nach den Schnupperkursen sollte jedes Kind wissen, wie es musikalisch weitergehen könnte. (www.zukunftsmusiker.de)
Menschen selbst Wege finden lassen, dieses Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit des Improvisators und Komponisten mit der besonderen Vorliebe für fächerübergreifende Konzepte und Musiktheater. Für das Stück Geburt der Jugend, das im März am Badischen Staatstheater lief, hat er eine aufpeitschende Trommelmusik entstehen lassen inspiriert durch den Besuch eines Konzerts der japanischen Gocoo-Trommler im Tollhaus: Ich habe ein Jahr mit dem Jugendclub am Badischen Staatstheater gearbeitet, ihnen beigebracht, wie sie selbst zu dieser Musik kommen. Jeder hat zwei große Prügel in die Hand gekriegt und alles von Chaos bis Ordnung ausprobiert.
Ausprobieren, ausloten: Im April wird Bieler-Wendt im Rahmen der Europäischen Kulturtage zusammen mit dem Moskauer Musiker (Balalaika, Gitarre) und Schriftsteller Micha Feigin und Kontrabassist Johannes Frisch unter dem Tuitel Moscow by Heart Teil eines Laboratoriums sein, in dem Musik und Literatur, Improvisation und Konzept, Sprache und Klang, Hören und Sehen, akustische und elektronische Momente ineinandergreifen. Da geht eigentlich nichts zusammen, lacht Bieler-Wendt. Balaleika, das ist für ihn zunächst einmal ein
ja was´ Eigentlich unvorstellbar. Der Reiz liegt für ihn darin, dass drei Künstler zusammenarbeiten, die eine hohe Risikobereitschaft verbindet, die Scheitern auf höchstem Niveau zur Methode gemacht haben.
Nicht Perfektion, sondern Angemessenheit ist das Schlüsselwort. Fast eine Lieblingsvokabel des Künstlers. Das kann der richtige musikalische Ausdruck im richtigen Moment sein, das Erkenne: So wie es hier und jetzt ist kann es besser nicht sein. Das hat zumindest nicht kausal mit Virtuosität zu tun. Das kann mit 4-jährigen funktionieren, mit 30-jährigen und mit dementen Alten. Er selbst sieht seine Karriere auf dem Weg zum angemessenen Ausdruck als langen Weg der De-Spezialisierung. Das bedeutet: Ich kann immer schlechter spielen, aber die Dinge, die ich mache, werden immer angemessener und schlüssiger. Teil eines Ganzwerdungsprozesses, der mit der Entscheidung des sprachbegabten Abiturienten (Scheffelpreis!) begann, eben nicht das Naheliegende zu tun, nämlich Sprache zum Beruf zu machen. tz
> MI 26. 4. 20:30 Uhr, Jazzclub Karlsruhe, Kronenplatz 1, Moscow by Heart, ein Projekt um den Musiker und Schriftsteller Misha Feigin, mit Helmut Bieler-Wendt und Johannes Frisch