Das letzte Kinojahr war für die meisten Kinos ein Flop. Ein Besucherrückgang von fast 20 Prozent, das geht an den Lebensnerv vieler Kinos und auch an den mancher Filmverleiher.
Eine der Hauptschuldigen an dieser fatalen Entwicklung ist eine kleine Silberscheibe namens DVD, mit der man sich das große Kino angeblich nach Hause holen kann. Wozu also noch den Hintern aus dem Sessel lupfen und sich ins nächste Lichtspieltheater bewegen´ Ich verstehe ja, dass diese Dinger eine gewisse Faszination ausüben. Sie bieten jede Menge Extras, neben der synchronisierten Fassung die Originalversion, manchmal auch noch andere Sprachversionen, Making-Ofs, Interviews mit den Beteiligten. Aber, mal ganz ehrlich, wozu braucht man denn das´
Wer macht denn schon ernsthaft von den vielen angebotenen Möglichkeiten Gebrauch´ Wer guckt sich, nachdem er die deutsch synchronisierte Fassung in voller Länge gesehen hat, auch noch die Originalversion an - oder gar die spanische und die türkische Fassung´ Welchen Informations- und Unterhaltungswert haben die Statements von Schauspielern und Regisseuren, in denen beteuert wird, wie wunderbar man sich verstanden hat, wie toll die Dreharbeiten waren und wie gut der Film dann auch geworden ist´ Und wer, wenn er nicht ein Filmfreak ist, oder selbst mal Karriere beim Film machen will, tut sich die Szenen an, in denen eine Kamera eine andere Kamera bei der Arbeit filmt´ Da wird die ganze technische Apparatur nebst Crew ins Bild gerückt, die gerade dabei ist die Schauspieler auf ihrem Set ins rechte Licht zu setzen.
Ich habe den Reiz dieser Making Of-Filmchen, die gelegentlich auch im Fernsehen ausgestrahlt werden, nie richtig verstanden. Film ist die Simulation von Realität, während wir einen Film sehen, geben wir uns der Illusion hin, dass das, was wir da sehen und hören echt sei, die lebensbedrohliche Situation des Helden, die Liebesnöte der Heldin, die Gewalt, der Sex, die großen Leidenschaften, der Tod. Im Making Of sieht man hingegen die Illusionsmaschinerie bei der Produktion, hört man das Papier des Drehbuchs rascheln, sieht Regisseur, Kameramann, Tontechniker, Trickspezialisten, Cutter bei ihrer Arbeit, die doch eigentlich unsichtbar bleiben soll, verborgen hinter der Illusion, die damit erzeugt wird. Und man erkennt: Alles abgefilmtes Theater!
Aber was soll man mit dieser Erkenntnis anfangen´ Langer Rede kurzer Sinn: Die vielen Extras sind in der Regel für die Katz. Bleibt also nur der Film, den man sich daheim getrost ins DVD-Regal stellen kann und natürlich auch ansehen kann. Aber wie oft: Zweimal, dreimal´´ Einmal würde ich schätzen von meinen eigenen Sehgewohnheiten ausgehend. Bei einem normal entwickelten Auffassungsvermögen reicht das hin, um einen Film voll und ganz zu erfassen.
Was wäre denn der Sinn eines abermaligen Ansehens´ Die Spannung läßt sich nicht nochmal aufbauen; man weiß, wer der Mörder ist und das die Liebenden sich am Ende doch noch kriegen. Die Gags kennt man, die überraschenden Wendungen können einen nicht mehr überraschen und die Schicksalsschläge lassen einen kalt, es sei denn man verfügt über ein extremes löchriges Kurzzeitgedächtnis. Also sieht man EINmal einen Film, den man sich für - sagen mir mal - 19,90 gekauft hat, also hochgerechnet für den Preis von zwei Kinokarten, und wenn die DVD länger auf dem Markt ist und der erste große Käuferansturm überstanden ist, dann gibt es das Ding auch mal für den Preis von einer Kinokarte.
Aber das ändert nichts daran, dass man den Kinofilm auf einem Bildschirm sieht, für den er nicht gemacht wurde, in dem alles, was groß gedacht und auch groß gemacht wurde, mindestens eine Nummer kleiner ist. Nein, die neueren Entwicklungen auf dem Gebiet der Fernsehelektronik sind mir nicht entgangen, LCD, Plasma, HDTV, Bildschirme mit einer Diagonale von über 150cm und ein astreiner Stereoton. Aber es hilft alles nichts. Das Home Cinema mag man noch so aufpäppeln, ein richtiges Kino wird nicht daraus. Und die Moral von der Geschicht´ Aktuelle Kinofilme sollte man sich auch im Kino ansehen, konzentriert mit anderen Kinogängern auf eine große Leinwand blickend, umfangen vom Dolby-Stereosound, gefesselt vom Geschehen, das ist - wenn die technischen und räumlichen Voraussetzungen stimmen - das einzige wahre Kinoerlebnis.
Die DVD ist eine feine Sache, wenn man Lieblingsfilme noch einmal sehen will (im Kino laufen die ja meistens nicht noch einmal), Filmklassiker sammelt oder seinen Kindern, die ihre Favoriten x-mal angucken können, eine Freude machen will. Aber wer sich den Kinobesuch schenkt, um sich etwa drei Monate später die taufrische DVD-Version des heiß ersehnten Films anzutun, der tickt nicht richtig und er sorgt auf lange Sicht dafür, dass es kein großes Kino mehr geben wird, sondern nur noch digitalisierte Videofilme.
PS. Wenn ich in einem Kinosaal sitze, mit der Musik eines Privatradiosenders vollgedudelt werde und zehn Minuten lang auf den geschlossenen Vorhang starre, weil sich niemand dafür zuständig fühlt, den Filmprojektor anzuwerfen, dann kommen mir Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Kinos. Es liegt auch an den Kinos selbst, am Service, am technischen Standard, am Ambiente, am Preis-Leistungsverhältnis, ob sie den Angriff der Killerscheiben (wie Die Zeit einmal titelte) abwehren können.