Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 03.2014
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Drei Jahrzehnte KAL

Wenn am 25. Mai die Karlsruherinnen und Karlsruher den neuen Gemeinderat wählen, feiert eine Wählervereinigung ihr 30-jähriges Bestehen, die als Karlsruher Spezialität angesehen werden kann. Vermutlich hatte es bisher landesweit keine ähnliche parteiunabhängige Gruppierung geschafft, sich auf breiter Front über einen so langen Zeitraum so viel Respekt zu verschaffen. Klappe Auf sprach mit dem Gründer und Fraktionsvorsitzenden Lüppo Cramer(Foto links) und dem Vorsitzenden Michael Haug (Foto rechts) über die Entwicklung der Karlsruher Liste, kurz KAL.

Am Anfang standen Zerwürfnisse. Der für die Grüne Liste 1980 in den arlsruher Gemeinderat gezogene Lüppo Cramer trennte sich, noch bevor sich die Partei der Grünen richtig formiert hatte, zu Beginn der 80er Jahre von seinen Mitstreitern: „Das war wie der vorgezogene Konflikt zwischen Fundis und Realos. Die Karlsruher Grünen waren sehr links und verstanden sich als Fundamentalopposition, ich hingegen wollte damals schon konstruktiv Politik mitgestalten und etwas erreichen, nicht nur die Finger in die Wunde legen.“ Auch linke Liberale, die 1982 Genschers Wende von der sozialliberalen Koalition zum schwarz-gelben Bündnis nicht mitgehen wollten, hatten ihre politische Heimat verloren. Gemeinsam organisierten abtrünnige Ökologen und Liberale für die Gemeinderatswahl 1984 eine offene Liste, an der sich verschiedene Organisationen und kleine Parteien wie Tierschützer oder die ÖDP beteiligten. Mit gerade mal drei Stimmzetteln „über den Durst“ errang die KAL ein Mandat, das Lüppo Cramer seither durchgängig behauptete. 1989 kam ein zweiter Sitz im Karlsruher Stadtparlament hinzu, und seit 1994 genießt die KAL mit drei Sitzen Fraktionsstatus, personell neben Cramer mit dem Umweltjournalisten Eberhard Fischer und der Sozialarbeiterin Margot Döring seit 1995 kontinuierlich besetzt.

Auch wenn die KAL aus dem Stand weg im Gemeinderat vertreten war gab es zunächst keine gemeinsame Linie, sondern eher zwei Gruppierungen, die sich in zwei Arbeitskreisen zu Demokratie und Ökologie formierten, was die Herkunft in den verschiedenen politischen Lagern widerspiegelte. Bald aber hatte man sich auf eine gemeinsame Satzung verständigt, die in ihrem Kern bis heute Bestand hat. „Unser Ziel waren damals neue politische Umgangsformen“, betont Michael Haug, der kurz nach der Gründung zur KAL stieß. „Bei uns gibt es keine Abstimmungen, denn wir arbeiten seit 30 Jahren nach dem Konsensprinzip.“ Das bedeutet, dass jeder mit einer Entscheidung leben können muss, was nicht selten zähe Diskussionsprozesse erfordert und gelegentlich auch dazu führen kann, dass zu einer Frage eben auch einmal keine KAL-Position zustande kommt. Die Fraktionsmitglieder indes haben die Freiheit, persönliche Verantwortung für ihre Entscheidungen im Gemeinderat zu tragen und aktuell reagieren zu können, ohne sich zuvor beim jeden Donnerstag tagenden Plenum der KAL-Aktiven rückversichern zu müssen.

Für die Stadt könne eine so kleine Fraktion wie die KAL „erstaunlich viel“ bewegen, so Haug, auch wenn am Ende nicht überall KAL draufstehe, wofür die Wählervereinigung etwa durch einen Antrag den Anstoß gegeben habe. So waren die frühzeitigen Ideen zu einer „Kulturinsel Ostauepark“ Mitte der 90er Jahre entscheidende Impulsgeber für die Entwicklung des Kreativparks Alter Schlachthof. Auch gehen die Wiedereinführung des gestärkten Karlsruher Passes für wirtschaftlich benachteiligte Karlsruher ebenso wie der Erhalt der bereits dem Abriss geweihten Lohfeldsiedlung auf eine Initiative der KAL zurück. „Wir haben halt das Problem, dass wir bei jeder noch so guten Idee, erst einmal mindestens 22 Kollegen dafür gewinnen müssen, mit uns zu stimmen“, so Michael Haug. Dies erfordere langwierige Überzeugungsarbeit bei den Gemeinderatskollegen, wobei zunächst einmal jeder Kollege als Partner in Frage komme. Dies führt zu häufig wechselnden Bündnissen. So war etwa der Antrag zum Umzug des Substage ins Schlachthofgelände und zur Erweiterung des Tollhaus gemeinsam von KAL, CDU und FDP gestellt worden. Als es daran ging, den Zuschuss wegen unvorhersehbarer Kostensteigerungen zu erhöhen, fand die KAL SPD und Grüne an ihrer Seite.

Als größte Niederlage empfinden es die KAL-Politiker um den Pragmatiker Lüppo Cramer, dass ihre Vorstellungen zur Kombilösung, die eine rein oberirdische Entzerrung des Schienennetzes durch die Entwicklung einer Kriegstraßen-Linie vorsah, sich nicht durchsetzen konnte. Nach dem Bürgerentscheid freilich akzeptierte man den Mehrheitsbeschluss und begleitet seither den Fortschritt der Kombilösung kritisch, aber konstruktiv. „Das hat uns bei der letzten Wahl Stimmen gekostet“, so Haug, „weil die Leute uns plötzlich im Lager der U-Strab-Befürworter vermuten.“

Stadtplanung, Kultur und Bürgerverantwortung sind die Kernkompetenzen der Wählervereinigung, die freilich mit Hilfe ihrer jeweiligen Experten aus schier allen Handlungsfeldern zu sämtlichen Themen der Stadtpolitik fundierte Meinungen bilden können. In punkto Bürgerverantwortung, die einerseits die Basisbeteiligung an wichtigen kommunalpolitischen Entscheidungen, andererseits aber auch die Sicherung der individuellen Freiheitsrechte beinhaltet, manifestieren sich auch heute noch basisdemokratische und liberale Ursprünge der KAL. „Wir haben mittlerweile ein starkes Standing in der Kommunalpolitik“, freut sich Cramer, „und werden ernst genommen, weil bekannt ist, dass wir keine festgelegte Ideologie verfolgen, sondern in jeder Frage neu abwägen. Aber wir haben gute 20 Jahre gebraucht, um uns diese Anerkennung auf allen Politikfeldern zu erarbeiten. Es ist schier unglaublich, was für einen langen Atem man häufig braucht.“