Bis Anfang März widmet sich das ZKM in seiner Ausstellung „global aCtIVISm“ Bewegungen und Gruppen wie Occupy, Parkschützern, Greenpeace oder amnesty international, Pussy Riot und Co., die im öffentlichen Raum auf Missstände aufmerksam machen und sich dabei neuer politisch inspirierter, künstlerischer Ausdrucksformen bedienen. Klappe Auf sprach mit ZKM Vorstand und frisch gebackenem Oskar-Kokoschka-Preisträger Peter Weibel über die Kunst und die Welt, Politik und Protest.
Herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des Oskar Kokoschka-Preises. Der österreichische Staatspreis stellt Sie jetzt in eine Reihe mit Namen wir Gerhard Richter, John Baldessari und Yoko Ono. Fühlen Sie sich jetzt selbst als lebende Legende?
Peter Weibel: Nein, nein, das nicht. Aber es ist eine schöne Sache, die Bestätigung zu erhalten, dass ich wohl doch nicht so viel falsch gemacht habe. Das hat ja nicht immer so gut ausgesehen, lange ist bestritten worden, dass das, was ich tue, überhaupt Kunst sei.
Der Preis würdigt Sie als Künstler, „der seit Jahrzehnten mit intellektueller Konsequenz und ästhetischer Schärfe die Kunst in einen Dialog mit gesellschaftlichen Verfasstheiten, ökonomischen Strukturen und wissenschaftlichen Entwicklungen stellt“. In Karlsruhe verbindet man mit Ihnen vor allem die Leitung des ZKM. Wie verbindet sich das aufwendige Amt mit dem Künstlerdasein.
Weibel: Das ist in gewisser Weise schon eine Konkurrenz. Als Künstler ist man gegenüber anderen Künstlern ein Konkurrent. Als Museumsleiter und Theoretiker, der ich ja auch bin, ist man ihnen ein Dienstleister. Den Museumsleitern wiederum bin ich wieder kein richtiger Kollege, weil ich ja auch Künstler bin. Die Kritiker sagen, das ist kein Theoretiker, weil der selbst Museumsleiter ist. So liefere ich nach drei Seiten Material, das sich gegenseitig relativiert und mich angreifbar macht. Aber ich habe ein Vertrauen in die Geschichte, dass sie einmal jede einzelne Rolle angemessen würdigen wird.
Herr Weibel, die neue aktuelle Ausstellung „Global Activism“ widmet sich einem politisch inspirierten Aktivismus, der im öffentlichen Raum auf Missstände aufmerksam macht. Sie selbst sprechen von einer Tendenz zur „performativen Demokratie“. Inwieweit sind diese Aktionen als Kunst zu verstehen?
Weibel: Es ist schon eine Frage, ob das, was die Pussy Riots machen, Kunst ist. Es ist aber auch die Frage, wie das zu beurteilen ist, was zum Beispiel die anderen Künstler in Russland machen, die sich vom System Putin im goldenen Käfig halten lassen. Die einen werden eingesperrt, die anderen verkaufen ihre Kunst an ein problematisches System. Was ist in diesem Fall für die russische Gesellschaft wichtiger? Nach den Regeln des Kunstmarkts machen die Pussy Riots keine Kunst, denn sie fertigen keine verkaufbaren Produkte und performen nicht auf Einladung. Insofern arbeiten sie nicht nur gegen Putin sondern auch gegen den Kunstmarkt an. Seit den 60er Jahren behaupten die Künstler, dass es keinen Unterschied zwischen Kunst und Leben geben dürfe. Diese Generation löst diese Forderung endlich ein, indem sie den zentralen Begriff der „Handlung“ ernst nimmt und ganz ins Zentrum stellt. Die Revolution der zeitgenössischen Kunst war nicht die Abstraktion, sondern die Aktion, angefangen beim Action Painting.
Aus der Performance der Künstler wurde die Performance des Publikums, der Bürger. Damit sind wir auch eng bei der Medienkunst, denn diese stellt die Bedeutung des Publikums ins Zentrum. Ohne sein Zutun geht in der Medienkunst gar nichts. Interaktion ist Partizipation. Und damit sind wir bei der Bürgerbeteiligung, für die die sozialen Medien die technischen Instrumente bereit stellen. Diese Entwicklung scheint mir unumkehrbar, es war doch bis vor kurzem unvorstellbar, welche weitreichenden Auswirkungen ein Bürgerprotest wie Stuttgart 21 haben könnte. Dieser Bürgerprotest und Organisationen wie Greenpeace oder amnesty international nutzen vielfach künstlerische Formen und Aspekte, und viele Künstler beteiligen sich an derartigen Bewegungen, ich würde daher sogar von einem „Artivismus“ sprechen, den wir in unserer Ausstellung dokumentieren.
Glauben Sie, dass der von Ihnen beschriebene Weg der Entwicklung der Demokratie zu einer durch soziale Medien beförderten direkteren Demokratie die Welt verbessert?
Weibel: Neben der bisherigen vierten Gewalt der Presse, die die Öffentlichkeit repräsentiert, entsteht nun eine fünfte Gewalt, durch die jede und jeder seine Meinung einbringen kann. Das Internet ist so etwas wie die erste Bürgerzeitung. Weil ein Großteil der Menschen heute davon überzeugt ist, dass die Parlamente die Menschen nicht mehr ausreichend schützen, und zahlreiche Probleme nicht mehr nationalstaatlich zu lösen sind, entstanden die NGOs als regierungsunabhängige, nationenübergreifende Bürgerinitiativen, die die Politik und die Beachtung der Rechte überwachen und einklagen. Wenn wir glauben, dass die Einhaltung der demokratischen Grundrechte die Welt verbessert, ist dies meiner Meinung nach eine positive Entwicklung.
Was unterscheidet die gegenwärtigen Bewegungen etwa von einer Studentenbewegung der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts?
Weibel: Ein entscheidender Unterschied ist, dass es sich heute um Bewegungen von Individuen handelt, die sich aus einem bestimmten Grund zusammen finden. Dahinter steckt meistens keine übergreifende Organisation und die Verabredung ist pragmatisch und zweckbezogen, das heißt Menschen ganz unterschiedlicher Weltanschauung und allgemeiner politischer Meinung finden sich hier zusammen. Die Studentenbewegung wurde von Organisationen wie dem SDS und seinen Führern geleitet. Die heutigen Bewegungen haben vielfach nicht einmal Sprecher, was wiederum ihre Schwäche ist. Dafür nutzen Sie in virtuoser Weise die Medien und künstlerische Formate wie Graffiti oder Video.
Sie verstehen diese Ausstellung als Vorbereitung zu „Globale“, mit der das ZKM den Karlsruher Stadtgeburtstag 2015 bereichern will. Wie ziehen Sie da die Verbindungslinien?
Weibel: Es geht um die globale Zeugenschaft der Kunst über die Welt von heute. Die großen Kunstausstellungen haben heute vielfach Angst vor dem Publikum und der wirklich zeitgenössischen Kunst. Dabei geht es doch gerade um eine Wiedergewinnung der Wirklichkeit durch die Künstler.
Herr Weibel, sie werden im kommenden Jahr 70 Jahre alt, gerade wurde ihr Vertrag am ZKM bis 2019 verlängert. Was wünschen Sie sich und dem ZKM?
Weibel: Für mich wünsche ich mir, was ich mir immer schon gewünscht habe, endlich mehr Zeit, um meine vielfältigen künstlerischen und dokumentarischen Projekte zu verwirklichen. Für das ZKM, dass es seine Position festigt und erkennbarer wird, was wir hier machen. Gerade ist in den Weihnachtsgeschenktipps der New York Times von einem Pullitzer Preisträger ein Katalog von uns empfohlen worden. Das bedeutet für mich, dass wir in Amerika schon sehr wahrgenommen werden, im eigenen Land hapert es daran leider. Das hängt für mich damit zusammen, dass in Europa die Vorurteile gegen die Mediengesellschaft vorherrschen. Diese Haltung ist sehr zum Schaden, denn in der Neuen Welt der Medien und Daten ist Amerika weit vorne. Wie weit abgeschlagen wir dabei sind, belegt doch schon alleine, dass Frau Merkel nicht wusste und es ihr keiner gesagt hat, dass ihr Handy von den Freunden abgehört wird.