„Where the fuck is Kaaarlsrua?“
Vivien Avena und Jörg Erckenbrecht haben gut lachen. Als Booker zeichnen die beiden für das Programm des Karlsruher Musikclubs Substage verantwortlich - und Fehlgriffe scheinen äußerst selten.
„Diesen Beruf kann man nicht lernen, da muss man reinwachsen und seine Erfahrungen sammeln“, sagt der 43-jährige Erckenbrecht. Ein Studium auf Lehramt hatte er nach wenigen Wochen abgebrochen und beim Substage kurz nach dessen Öffnung 1990 angedockt. Vom Bierverkauf an der Theke über die Veranstaltungsdurchführung war er zum Booking gekommen, das er sich heute mit der fünf Jahre jüngeren Kollegin teilt.
Avena hatte als Musikfan früh begonnen, selbst Konzerte zu veranstalten, und war – zunächst an der Theke - längst auch im Substage Mitarbeiterin, als sie an der Mannheimer Popakademie den Studienzweig „Musikbusiness“ absolvierte. „Die typische Tellerwäscherinnenkarriere eben“, lacht sie, verweist aber auch darauf, dass das Studium ihr bei ihrer Tätigkeit Vorteile bringt: „Meine Studienkollegen arbeiten heute bei Plattenfirmen und Agenturen, da ist es für mich wichtig, Kontakt zu halten, um neue Impulse zu bekommen.“
Außer durch Netzwerken und persönliche Kontakte hält sich Avena durch den Besuch der einschlägigen Festivals auf dem Laufenden, während Erckenbrecht lieber vor Ort und durch Fachpublikationen „Augen und Ohren“ offen hält. Gerade das stets nachwachsende und sich verjüngende Team des Substage sorgt immer wieder für neue Vorschläge und Ideen.
Die erfolgreichen Hamburger Kettcar waren zum Beispiel auf Mitarbeiter-Vorschlag zur Substage-Band geworden, und wenn sich die Substageler derzeit etwas wünschen dürften, rangierten wohl die schottischen Edel-Rocker Biffy Clyro ganz oben auf dem Wunschzettel.
Dabei kann sich das Herbstprogramm durchaus sehen lassen. Erkenbrecht freut sich auf die britischen Enter Shikari (8.11.) und wie stets auf ein erneutes Gastspiel der Berliner Live-Institution Pothead (15.11.). Avena ist vor allem auf die Auftritte der amerikanischen Mathcore-Heroen The Dillinger Escape Plan (2.10.), der norwegischen Indie-Popper Kakkmaddafakka (4.10.) und der schwedischen Ska-Reggae-Großformation Hoffmaestro (23.10.) gespannt.
Auch wenn das Substage für einen Rockclub etwa im Vergleich mit Mannheim, Heidelberg oder Stuttgart sehr gut dasteht, werden für die Booker, die jeden Monat Tausende von Anfragen bekommen, längst nicht alle Träume wahr. Mit dem Aufstieg aus der früheren Fußgängerunterführung am Ettlinger Tor auf das Schlachthofgelände ist das Substage für die Konzert-Agenturen wesentlich attraktiver geworden.
„Klar bekommen wir jetzt ganz andere Bands angeboten als früher, als wir nur einen Garderobenraum hatten und die niedrige Bühnenhöhe uns technisch sehr einschränkte. Aber es ist halt immer noch Karlsruhe, das wird sich auch nicht ändern“, sagt Erckenbrecht, der bedauernd feststellt, dass rund 80 Prozent der angebahnten Konzertpläne zunächst einmal scheitern.
Selbst wenn deutsche Partneragenturen Karlsruhe gerne in einen Tourplan aufnehmen würden, erhalten bei den ausländischen Band-Managements - „Where the fuck is Kaaarlsrua?“ - meist die Medienstädte den Vorzug. „Umso geiler ist es dann, wenn es uns nach zäher Vorarbeit gelingt, einen Riesennamen wie etwa Ronnie Dio nach Karlsruhe zu holen, das war schon ganz großes Kino“, sagt Erckenbrecht, der auch auf Bands wie die kanadischen Art-Rocker Archive oder Monster Magnet verweist.
Nicht selten musste dafür zehn Jahre lang gebaggert werden. Ist eine Band einmal dagewesen, kommt sie gerne wieder.
„Es ist eben typisch für eine C-Stadt, dass wir nicht mit Urbanität, sondern mit einer sehr persönlichen Künstlerbetreuung und leckerem Essen punkten“, sagt Vivien Avena, die sich freut, dass Casper sich an seinen ersten Auftritt in Karlsruhe erinnerte und, obwohl er mittlerweile deutlich größere Hallen füllt, im Oktober noch einmal ins Substage kommt. Innerhalb von zwei Stunden waren die Tickets ausverkauft.
Seriosität und Zuverlässigkeit nennt Jörg Erckenbrecht die wichtigsten Qualitäten eines Programmgestalters: „Es ist eben nicht nur ein cooler Job.“ Man müsse einen gewissen Druck aushalten können und brauche eine gehörige Portion Sozialkompetenz, fügt Vivien Avena hinzu, denn entscheidend sei es, wie man mit Agenten, Künstlern und Kollegen kommuniziere und verhandle: „Wenn man mal einen Flop gelandet hat, darf man das nicht persönlich nehmen. Wenn das Risiko zu hoch ist, muss man aber auch deutlich nein sagen können.“
Im Groben haben die beiden für die Gestaltung eines kunterbunten Monatsprogramms einen Fahrplan in der Hand, damit die Mischung zwischen Altrock, Metal oder Hip-Hop stimmt, konkret kann das Angebot aber auch zu Ballungen einer Stilrichtung führen. Rund 30 Prozent der auftretenden Bands stammen aus der Region. Diese werden von Andreas Schorpp betreut und in die passenden Formate wie die monatliche „They might be stars“-Reihe oder als Vor-Band gebucht. Hier kann praktisch jeder zum Zuge kommen, der seine Musikrichtung relativ amtlich beherrscht.
Kein Problem ist es für Avena und Erckenbrecht, sich für zugkräftige Gruppen zu entscheiden, schwieriger wird es dagegen, eine noch unbekanntere Band einzuladen. „Das Rock‘n‘Roll-Publikum zeigt nicht so viel Neugier und ist vielleicht nicht so entdeckungsfreudig“, mutmaßt Avena. Da muss dann eine No-Name-Band etwa aus Norddeutschland schon etwas Außergewöhnliches bieten, um die Substage-Booker zu überzeugen verpflichtet zu werden. Ein bis zwei Mal im Monat erlaubt sich das Substage solche Experimente, bei denen die Publikumserwartung „von 30 bis 100“ Besuchern keine Wirtschaftlichkeit verspricht. Doch manche Bands wie Die Happy, Long Distance Calling oder die Queens Of Stone Age präsentierten sich im Substage in der Entwicklung vom mager besuchten Geheimtipp zum Star.
Auch wenn ein guter Booker seine persönlichen Vorlieben nicht allzu weit nach vorne stellen sollte, darf nicht alles, was Erfolg verspricht, im Substage auftreten: „Wenn wir was richtig doof finden, machen wir es nicht“, so Erckenbrecht. So die vor einigen Jahren angebotene Band Santiano, die im Herbst die Europahalle füllen soll. Und auch aus politischen Gründen haben zweifelhafte Bands keine Chance: „Bands wie die ideologisch unterirdischen Frei.Wild würde ich nie veranstalten.“ -jf