Sie haben doch hoffentlich die Grippeschutzimpfung im Herbst nicht verpasst, wenn ja, dann befinden Sie sich in Lebensgefahr oder sind möglicherweise schon tot. Dann hat die Grippewelle, die ja alle Jahre wieder mit großem Gedöns angekündigt wird, schon wieder Tausende von Leben dahingerafft. Wie gut, dass die moder-ne Medizin Mittel und Wege gefunden hat, uns vor dieser tödlichen Gefahr zu schützen. Zugegeben: die Impfung hat ihre Nebenwirkungen, auch kann sie möglicherweise ihre schützende Wirkung nicht ganz entfalten, weil der akute Grippevirus doch wieder etwas anders aussieht als erwartet – und dann ist es auch noch so, dass es eigentlich kein verlässliches Datenmaterial über ihren Nutzen gibt und auch nicht über die Zahl der tatsächlichen Opfer.
Aber sei´s drum, Hauptsache man hat vorgesorgt und siehe da, die Impfung wirkt. Schon wieder hat man einen Winter relativ unbeschadet überstanden. Danke, danke liebe gute Pharma-Industrie! Dumm nur, dass das auch Millionen von Menschen behaupten können, die sich nicht haben impfen lassen, zudem wird man wahrscheinlich auch in diesem Frühjahr wieder feststellen, dass die groß angekündigte Grippewelle ausgeblieben, irgendwie im Strom der Zeit ver-läppert ist. Vielleicht wird man sich dann auch bewusst, dass einem partout niemand aus der näheren und weiteren Bekanntschaft ein-fällt, der dem Grippevirus zum Opfer gefallen ist. Solche kleinlichen Einwände werden aber nichts daran ändern, dass spätestens im No-vember dieses Jahres wieder die Gefahr einer Grippewelle wie ein Menetekel an die Wand gemalt und dringend eine Grippeschutz-impfung empfohlen wird. Ja, ja die Pharmaindustrie wird die Medi-envertreter wieder entsprechend impfen und in diesem Fall wird die Wirkung in Gestalt zahlreicher fast gleichlautender Artikel und Meldungen nicht lange auf sich warten lassen.
Wer darauf reinfällt, der gehört zu jenem Typus Mensch, der von der Politik und den Medien geradezu herangezüchtet wird, ich nenne ihn mal den Über-fürsorglichen. Der Überfürsorgliche denkt schon mit Mitte 20 an die Altersversorgung (was die Versicherungsunternehmen sehr be-grüßen), bereits Anfang 40 macht er sich Gedanken über die Barrie-refreiheit in seinem Bad, keine Reise tritt er an ohne Reiserück-trittsversicherung („Es kann ja immer mal was passieren“) und auf das Rad steigt er nicht ohne seinen Helm. Der Typ liegt im gesellschaftlichen und politischen Trend. In einer Zeit, in der nach neuer EU-Richtlinie Schockbilder auf Zigarettenpackungen, die ohnehin von dicken Warnhinweisen verunziert sind, ihre abschreckende Wirkung entfalten sollen, in dem die Werbung für Toto und Lotto einhergeht mit einer Warnung vor den Folgen der Spielsucht und, der Warnhinweis auf Kaffeebechern, dass der Kaffee heiß ist (alles andere wäre auch kalter Kaffee), schon längst kein schallendes Gelächter mehr auslöst, bewegt sich der Überfürsorgliche im gesell-schaftlichen Mainstream.
Im diesem geistigen Klima wird es auch als normal hingenommen, dass ein Kinderbuchklassiker wie Otfried Preußlers „Kleine Hexe“ nachträglich gesäubert und stubenrein ge-macht wird, aus „Negerlein“ wird „Schornsteinfegerlein“, eine ähn-liche Sprachpolitur wurde bereits zuvor den Pippi Langstrumpf-Büchern verpasst, damit die arme Kinderseele keinen Schaden nehme und die Kleinen, wenn sie mal groß und stark geworden sind, nicht durch politisch unkorrekten Sprachgebrauch unange-nehm auffallen. Wer ständig Angst hat, nicht nur sich selbst, son-dern auch die Gefühle der anderen zu verletzen, für den ist selbst ein Kinderbuch vermintes Gelände. Wobei ich mir sicher bin, dass keiner der Kinderbuchreiniger auch nur ein Beispiel dafür anführen kann, dass die Leserinnen und Leser von Otfried Preußler und Astrid Lindgren eine verstärkte Tendenz zu rassistischen Denk- und Verhaltensweisen an den Tag legen.
Nun steht die Sorge für und um die Kinder auf einem etwas anderen Blatt. Kinder brauchen Fürsorge und Aufsicht, Jugendliche auch noch in einem nicht im-mer genau bestimmbaren Maße - die Pubertät ist ja nicht zuletzt ei-ne Abwehrbewegung gegen die Bevormundung durch die Eltern und andere Autoritäten - , aber als Erwachsener sollte man Herr seiner selbst sein, das heißt, sich auch der Lebensrisiken bewusst zu werden und sie eher als Herausforderung denn als ständige Bedrohung betrachten.
„Seien wir mal ehrlich! Das Leben ist immer lebensgefährlich!“ Das Wort von Erich Kästner gilt nach wie vor und besonders für das Leben im eigenen Haushalt, in dem, wie die Stati-stik zeigt, die meisten Unfälle passieren. Es wird höchste Zeit, dass auch hier Vorsorge getroffen wird, zum Beispiel durch einen Warn-hinweis am heimischen (Gefahren)Herd: „Vorsicht, diese Platte kann heiß werden“.
Wer allerdings ganz und gar auf Nummer Sicher gehen möchte, der wird am besten bedient mit einem Wohnmodell, das schon länger in Gebrauch ist: Es ist die Gummizelle.
Cartoon von Herbie Erb