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Harald Hurst ist tot

Die Heimat ist ärmer geworden

Bild - Harald Hurst ist tot
Nachruf von Matthias Kehle
Als Teenager war ich in ein Mädchen aus Norddeutschland verliebt. Ich sprach sie mit meiner Ettlinger Mundart an. Was geschah? Sie äffte mich nach. Ich schämte mich wochenlang. Dann kam Harald Hurst (Foto: Burkhard Riegels). Ich las im Büchle „Ich bin so frei“, erschienen 1985 im von Loeper Verlag, darin Klassiker wie „Do hanne num“ oder „S Landesübliche“. Ich las die Texte laut. So breit badisch, wie ich konnte! Und im Ettlinger Eichendorff-Gymnasium ließ ich mich von meinen Deutschlehrern nicht mehr irritieren. Ich schrieb damals schon selbst Gedichte, aber nie in Mundart.

Im Gegensatz zu vielen Mundartdichtern der Region hatte ich verstanden, dass niemand Harald das Wasser reichen kann. 1987 hatte ich meine erste Lesung. Im Vorprogramm von Harald mit zwei weiteren Nachwuchsdichtern. Harald bemerkte mein Talent. Wir trafen uns in Heidelberg, wo ich studierte, und er kritisierte meine Gedichte. Bei meinen Kumpels und mir schlichen sich Begriffe aus Haralds Büchern ein. Wenn wir gedachten, „g mütlich zu sitze“, dann meinten wir eine bestimmte Kneipe, wenn ein Bierglas umfiel, riefen wir „En Lappe prego!“ Berichtete einer meiner Freunde, er habe am Wochenende „s Landesübliche“ gemacht, prahlte er mit seinen sexuellen Eskapaden. Wir gingen gemeinsam zu seinen Lesungen, und eines Tages sollte es passieren, dass Harald sich in die Schwester eines meiner Freunde verliebte. Haralds Lesungen wurden für uns Pflicht, hinterher saßen wir zusammen oder wir feierten Feste im Frisörsalon seiner neuen Freundin. Ich lernte Kuno Bärenbold, Axel Fischer und René Egles kennen, mit denen er damals auftrat. Harald wurde berühmt und berühmter, bald war er „Kult“.

1993 bekam er den Thaddäus-Troll-Preis, wurde „Badener des Jahres“, seine Theaterstücke („Fuffzich“) wurden im Sandkorn jahrelang gespielt. Ab 1997 trat er zusammen mit Gunzi auf. Im Tollhaus, bei der Badisch Bühn oder als Höhepunkt beim „Feschd uff m Hügel“ in der Günther-Klotz-Anlage wie ein Popstar vor 30.000 Menschen! Ein-, zweimal im Jahr ging ich zu einem der „Events“. Dafür trafen wir uns, meist zu zweit, in seiner Wohnung am Ettlinger Marktplatz, die er Anfang der 90er-Jahre wegen seiner damaligen Partnerin bezogen hatte. Er kochte hervorragend. Fleischküchle und Kartoffelsalat zum Beispiel. Wir tranken schweren italienischen oder spanischen Wein und redeten über buchstäblich Alles. Als ich vom Sterbebett meiner Lieblingstante „nebenkappig“ zu ihm ging, tranken wir am helllichten Nachmittag ein paar Gläser Riesling vor dem Ettlinger Schloss und redeten nur anfangs über den Tod.

Seinem Verlag blieb Harald übrigens treu. Genauer gesagt, seinem Verleger und Freund Michael Kohler, der von G. Braun zum Silberburg-Verlag und schließlich zum Verlag Regionalkultur wechselte. Harald war ein feiner, gebildeter und stiller Mensch, vor allem kein Trinker, wie manche vermuteten. Die Flasche Rotwein gehörte zur „Show“. Richtig wütend habe ich ihn nur einmal erlebt, nämlich als ein wenig feinsinniger Kritiker schrieb, er sei eine „Rampensau“. Zuletzt war er gesundheitlich schwer angeschlagen, ein letztes Treffen zwei Tage vor seinem Tod musste er absagen. Nur wenige Tage vorher vollendete er sein letztes Projekt. Der Fotograf Burkhard Riegels ging mit ihm zu den Stationen seines Lebens und porträtierte ihn dort. Im Karlsruher Dörfle, wo er aufgewachsen ist, zusammen mit Gunzi, bei seinem Freund und Wegbegleiter René Egles im Elsass, in seiner Ettlinger Wohnung, mit seinem Sohn Pablo.

Das Buch wird im September erscheinen. Es ist ein Rückblick und ein Abschied von einem bewegten Leben, das unstet begann. Harald fuhr mit 16 zur See, holte mit 25 sein Abitur nach, wurde Lehrer, hauste in Wohngemeinschaften oder im Zelt am Grötzinger Baggersee. „Es hat nicht viel gefehlt, und ich wäre Penner geworden“, sagte er einmal anlässlich eines der vielen Interviews, die ich mit ihm führte, u.a. für die „Klappe Auf“. Die letzten Jahre verbrachte er zurück gezogen, flanierte durch Ettlingen oder saß mit Bekannten und Freunden in oder vor seinem Lieblingscafé. Geschrieben hat er nicht mehr viel, die Corona-Zeit hat er genutzt, um sich von der Bühne zu verabschieden – die Auftritte haben mit zunehmendem Alter viel Kraft gekostet. Harald war „D Accord mit de Welt“, so der Titel seines letzten Buches.
Sein Kollege Markus Orths mailte mir: „Ein großer Dichter. Und was er geschrieben hat, wird bleiben“. Uns Badenern hat Harald Hurst ein Stück Identität und Selbstbewusstsein gegeben. Ich habe einen meiner besten Freunde verloren. Wir Badener einen Teil unserer Seele.

Das Buch „Harald Hurst - Flaneur“ wird im September beim Verlag Regionalkultur erscheinen.

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