Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 12.2006
Kunst, Ausstellungen Kunst

 

Museum für Literatur am Oberrhein: Mit unbestimmter Vorsicht

Als Sigismund von Reitzenstein (1766-1847), der eigentliche Schöpfer dieses politischen Kunstwerks, das Land Baden vor 200 Jahren nach französischem Vorbild neu strukturierte, hatten die Dichter von Anfang an eine wichtige Aufgabe. Sie sollten "integrieren". Und - trotz aller Liberalität - die obrigkeitsstaatlichen Kräfte stärken.
Nicht alles lief nach diesem Plan. Man denke nur an 1848. Stets pendelte Badische Literatur hin und her zwischen Restauration und Anschlussversuchen an die Weltliteratur.
Die Kabinettausstellung des Museums für Literatur am Oberrhein ist ein visualisierter Rapport dieser (Literatur-) Geschichte. Sie lädt ein (exemplarisch, anhand von Handschriften, Briefen, Erstausgaben, Fotos usw.) zu einer Entdeckungsreise in eine Welt, in der die Literatur ihre impulsgebende Funktion noch nicht, wie heute, verloren hatte.
In der es neben der Strategie, dem Eigensinn der Provinz auf der Spur zu bleiben bzw. so etwas wie einen patriotisch-badischen Diskurs zu etablieren, auch das Gegenteil gab: Internationalität und Aufklärung (im besten Sinne). Beide Pole dieser Ambivalenz findet man sogar in einer Person. Bei den Eigenständigsten: Bei Hebel und Scheffel, bei Martin Heidegger ebenso wie bei Marie Luise Kaschnitz.
Eindrucksvoll ist der Mut, das Disparate der badischen Literaturgeschichte nicht zu unterdrücken. Präsentiert wird vielmehr ein Patchwork der unterschiedlichsten Strömungen und Positionen: Etwa die frühe, romantische Skepsis gegen die "reine" Ökonomie (von Arnim, Brentano, Eichendorff, von Günderode), die literarischen "Auf-Brüche" nach dem 2. Weltkrieg (Martin Walser, Rainer Maria Gerhardt), die Erinnerung an "versunkene", zu Unrecht vergessene Schriftsteller (Einstein, Mombert, Flake, Schneider). Mutig auch die Hinweise auf ganz aktuelle Zugewinne bzw. Verluste. So wird z.B. Patrick Roth als badischer Literat gewürdigt. Er erkundet zwar in Hollywood neue Heimaten und Daseinsweisen, ist aber ein waschechter Karlsruher. Jagoda Marinic ist das "Ausrufezeichen": Als "marginal woman" musste sie das Fremde verstehen lernen, damit sie sich mit ihrer kroatischen Herkunft in Baden zu Hause fühlen konnte.
Auch die mit Verfremdungen arbeitende Ausstellung führt in eine, im Vergleich mit der Entertainment-Kultur, altmodisch ernsthafte Welt - mit unbestimmter Vorsicht. Für Walter Helmut Fritz, den großen Karlsruher Schriftsteller von europäischem Rang, ist das nicht das Schlechteste: "Ist es nicht oft so, dass das, was uns zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Irrtum zu sein scheint, sich später als das herausstellt, was uns weiterhilft und dass wir andererseits gerade dann irren können, wenn wir auf dem richten Weg zu sein scheinen´"

Badische Literatur: 1806-2006, Kabinett-Ausstellung, bis 7.1.