Architektur und Atmosphäre
Auf der Kaiserstraße in der Karlsruher Innenstadt hatte Helmut Wetter der wie er Saxophon spielenden Malerkollegin Birgit Spahlinger von seinem Vorhaben erzählt, einmal 30 Saxophonisten für einen Auftritt zusammenzubringen, um die Verbindung von Raum- und Klangerlebnis zu erproben. Pragmatisch und in der Hoffnung, dass es vielleicht nicht nur beim einmaligen Ereignis bleiben würde, plädierte diese, die Musikerzahl auf zehn zu begrenzen. Das war vor 25 Jahren und die Idee der Raummusik für Saxophone war geboren. Erstmals im November 1985 und von da ab jeden Montag Abend trafen sich zehn Saxophonstinnen und Saxophonisten in den halligen Sälen des Badischen Kunstvereins, um für das Gründungskonzert zu Proben. Der Ansturm am 29. Juli 1986 war gigantisch. Mitten im Sommerloch waren weit mehr als 400 Neugierige gekommen, die Schlange reichte weit in die Waldstraße, und am Ende fanden viele keinen Einlass.
Ich finde es nach wie vor sehr spannend, wie sich das alles entwickelt hat, und welche Orte wir im Lauf der Zeit entdeckt und bespielt haben, sagt Birgit Spahlinger. Wasserspeicher und Kirchen, Bahnhöfe und leere Industriehallen, Museen, Gasometer, Straßenbahndepots, Schwimmbäder, Luftschutzbunker und das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig finden sich in der Projektübersicht des Ensembles, das bereits 1990 seine erste Russlandreise unternahm. Heute haben sich die Musiker des Ensembles über die halbe Welt verstreut. Da ist regelmäßige Probenarbeit nicht mehr möglich. Doch ergibt es sich bei uns mittlerweile sehr schnell, dass wir an einem bestimmten Ort spontan ein Konzept finden und Musik und Raum zusammengehen, sagt Rolf Schindler. Der Künstler und Kunsterzieher war schon vor 25 Jahren mit Birgit Spahlinger zusammen und hatte damals vor allem mit dem Schlagzeug seine musikalische Leidenschaft ausgelebt. Auf einem Instrument der Freundin hatte er experimentiert, und als nach dem ersten Konzert eine Stelle in der Raummusik vakant geworden war, übernahm er kurzerhand die Position.
Neben dem Klang der Instrumente ist der Raum für die Karlsruher Gruppe von größter Bedeutung. Form und Widerhall, Klangcharakteristik, Architektur und Atmosphäre sind die entscheidenden Größen, die die Musiker improvisierend erforschen. Wir sind oft einen Tag zuvor bereits vor Ort, um das Gebäude, in dem wir spielen, kennenzulernen und zu studieren, sagt Birgit Spahlinger. Dass sich die Musiker von der konventionellen Bühnensituation lösen, sich im Raum bewegen und das Publikum umspielen, löste nicht selten Irritationen aus. So zählt ein Konzert im russischen Krasnodar zu Spahlingers stärksten Erinnerungen in der langen Gruppengeschichte mit zahlreichen Auslandsreisen: So etwas hatten die Menschen dort noch nie erlebt, nach dem Konzert wollten sie ganz genau wissen, wie das entsteht. jf
> Zum 25-Jährigen erscheinen die CDs DoubleS und "Raum-Musik für Saxophone 1985-2010", am Fr., 19.11.2010, wird um 20 Uhr in der Nancyhalle im Rahmen eines Raummusik-Konzertes eine Ausstellung von Irmtrud Saarbourg eröffnet, die die Gruppe fotografisch begleitet, am Sa., 20.11.2010, um 20 Uhr, gibt es im Lichthof der Hochschule für Gestaltung ein Konzert mit Podiumsdiskussion.