Eigentlich hatte es einen doppelten Anlass gegeben, in diesem Monat den Karlsruher Künstler Wolf Pehlke zu Wort kommen zu lassen. Zum einen ist er mit Arbeiten in der am 3.10. eröffnenden Ausstellung Vor dem ZKM - Projekt 99,9% und Kunst im Hallenbau 1980-1994 vertreten, die sich einem Kapitel der Karlsruher Kunstgeschichte zuwendet, dem Pehlke mit Bild tot ein eigenes reflexiv-anekdotisches Büchlein widmete. Zum anderen hätte er in diesen Wochen den mit Ausstellung und Katalog verbundenen Oberrheinischen Kunstpreis entgegennehmen sollen. Letzteres indes war über den Sommer geplatzt.
Ungeachtet der neunmonatigen Vorarbeit hatte Pehlke lieber auf den Preis verzichtet, der mit insgesamt rund 70.000 Euro dotiert ist und erstmals vergeben werden sollte. Die zu planende Ausstellung und der zu erstellende Katalog sind wesentliche Bestandteile des Preises und erfordern unverzichtbar die Mitwirkung des Künstlers. Leider hat sich der Künstler Ende Juli aus der Zusammenarbeit zurückgezogen und ein weiteres Zusammenwirken mit Stadt und Förderkreis abgelehnt, heißt es in der Presseerklärung der Stadt Offenburg. Pehlke möchte seine Entscheidung nicht kommentieren, doch habe er sich - der Verantwortung für Preis und mögliche kommende Preisträger bewusst - den Rückzug nicht leicht gemacht. Die Bedingungen, unter denen Ausstellung und Katalog zustande kommen sollten, scheinen für Pehlkes Ansprüche nicht tragbar gewesen zu sein.
Der Umgang mit Kulturbürokratie war für Pehlke nie einfach, das ist heute nicht anders als in den 80er Jahren: Es gibt einerseits Kulturschaffende und andererseits Kulturinstitutionen, die nichts schaffen und erschaffen. Was sie aber immer gut hinbekommen ist, die Dinge zu verdrehen. Nehmen wir die derzeitige Plakataktion an den U-Strab-Baustellen in der Innenstadt. Sie nennen das Kunst am Bauzaun. Das ist doch aber keine Kunst, sondern Werbung für Kunstinstitutionen. Vor einen Karren spannen lassen möchte sich Pehlke nicht. Das war schon damals so, als Künstler auf dem leerstehenden IWKA-Areal unter unwirtlichen Bedingungen teils als Mieter, teils als ungebetene Nutzer Arbeitsräume bezogen und durch spektakuläre Kunstaktionen für Aufbruchstimmung sorgten. Diese war Grundlage dafür, dass Karlsruhes mit Abstand größtes und als ehemalige Waffen- und Munitionsfabrik geschichtsbeladenes Gebäude nicht dem Abriss zum Opfer fiel, sondern heute als riesiger Kulturtanker ZKM einen Glanzpunkt bildet, mit dem Karlsruhe auch überregional punktet.
Die Künstler hatten sich damals ersehnt, dass zumindest in einem oder zwei der zehn Lichthöfe für sie eine dauerhafte Perspektive bliebe, ein selbstorganisierter Kunst-Raum, zum Arbeiten und Bespielen, eine Plattform für freie Projekte und soziokulturelle Aktivitäten: Wir waren so nah dran. Wir hätten kämpferisch sein müssen, aber das waren wir nicht. In Pehlkes Buch Bild tot liest sich das so: Es ist ein historischer Moment und wir haben ihn, ehrlich gesagt, verschissen. Die Künstler hatten einen ausgesprochen künstlerischen Inhalt für das Gebäude gefordert. Der kam mit dem ZKM, allerdings in einer anderen Form, als gedacht. Den Traum von einer Sache zu verlieren, das tut weh, sagt Pehlke im Rückblick. Doch wenn er heute das ZKM betritt, beschleichen ihn keine Retro-Gefühle. Dafür ist das, was dort passiert, zu interessant: Früher bin ich nach Rotterdam gefahren, um Paul Thek zu sehen, heute wird mir das vor der Haustüre serviert, das ist schon ein großer Luxus für jemanden wie mich.
Kein Luxus indes, sondern innere Notwendigkeit war es für ihn offensichtlich, den groß angekündigten Preis, der immerhin auch mit einem Scheck über 10.000 Euro verbunden gewesen wäre, zurückzuweisen. Eine Frage des Charakters, der sich eben vor keinen Karren spannen lassen will. Ein Künstler ist ausschließlich oder er ist es eben nicht. Dazwischen gibt es nur Nonnengefasel und Welpenpisse, formuliert Pehlke in Bild tot. Einer der diesem Diktum voll und ganz entspricht ist Georg Schalla, dem Pehlke mit seinem Buch Respekt zollt und ein kleines Denkmal einrichtete. Schalla war es, der als Motor und Mittelpunkt in den IWKA-Hallen das Projekt 99,9% aus dem kontaminierten Hallenboden stampfte und eine Vision über die Stadt projizierte, die vermessener nicht hätte sein können. Er hatte seine Spuren in der Stadt schon Beginn der 80er Jahre gemeinsam mit dem Gefährten Uwe Lindau in der Orgelfabrik hinterlassen. Später siedelte er im noch arbeitenden Schlachthof an, bis ihn die Stadt auch da vertrieb und er nunmehr in Rastatt seine künstlerische Konversionsstrategie in ehemaligen Kasernenräumen fortsetzt. Für Pehlke, der in den 80ern eher Beobachter am Rande war, ist Schalla auf der einen Seite eine Urgewalt, die alle vor den Kopf stößt, auf der anderen Seite ein Verwalter gigantischer Träume, der mit seinem Charisma immer wieder Menschen und Situationen über sich hinaus hebt. Kurzum ein Geschenk an diese Welt, das niemand haben will.
Doch Wolf Pehlke ist kein Romantiker, der das Ideal der Künstlerautonomie verherrlicht. Ich bin schon lange von diesem hohen Ross herunter. Wer bin ich, dass ich ungeschoren durch das Leben kommen sollte. Die Kunst ist eine Nutte. Aber es gibt Momente in denen man einfach Stellung beziehen muss. Haltung und Orientierung sind nicht einfacher geworden. Bis in die 90er Jahre war die Kunstszene in Karlsruhe noch überschaubar und klar strukturiert. Es gab den Kunstverein und eine Handvoll Galerien, die jeweils klare Positionen vertraten. Heute haben wir eine Messe, das ZKM, die Hochschulen und unendlich viele Galerien. Früher war die Kunst eine Art Zunft, heute zählen Hype und Clique und es herrscht Goldgräberstimmung. Aber ob sich dieses Geflecht auf Dauer so halten kann, das weiß ich nicht. jf
> Vor dem ZKM - Projekt 99,9% und Kunst im Hallenbau 1980-94, 3.10.2010 bis 9.1.2011, ZKM Museum für Neue Kunst, Karlsruhe, Lorenzstraße 19, Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr