Fußball ist nicht alles, aber omnipräsent im heutigen Argentinien. Dies zeigt ein Kapitel des im vergangenen Monat im Beck-Verlag erschienen
Buches ³Tango Argentino. Porträt eines Landes. Geschrieben wurde es von dem in Karlsruhe geborenen Ingo Malcher. Seine Lebensstationen führten ihn aus der badischen Provinz zum Politikstudium nach Marburg und von dort zur
Berliner taz, für die er ca. 10 Jahre als Südamerikakorrospondent tätig war.
In dieser Zeit entstand das jetzt erschienene Buch. Geschildert wird die Entstehungsgeschichte Argentiniens, die politischen Entwicklungen und vor allem das Lebengefühl, welches den Alltag dieses Landes bestimmt. Auf einer, auf den ersten Blick, völlig anderen Baustelle ist Ingo Malcher
mittlerweile gelandet. Er arbeitet bei brand eins, dem Hamburger Wirtschaftmagazin, welchen in den letzten Jahren ein rasanter Aufstieg am deutschen Zeitungsmarkt gelungen ist. KlappeAuf unterhielt sich mit Ingo Malcher.
Wie verändert sich in 15 Jahren die Sichtweise auf Deutschland aus Sicht Südamerikas´
I. Malcher: Deutschland wird fremder im laufe der Jahre, es erscheint sehr eng vom Geiste her und dreht sich sehr stark um sich selbst. Im Ausland
nimmt man Deutschland vor allem durch die dortigen Medien wahr. Ich habe die Ereignisse in Deutschland durchaus verfolgt, aber ich trug eine andere Brille und sah die politischen Debatten vor einem anderen Hintergrund. So ist es nicht selten, dass man im Ausland als Deutscher mit dem deutschen Faschismus konfrontiert wird und lernt, dass die Welt durchaus weiterhin wachsam ist. In Buenos Aires gibt es eine sehr große jüdische Gemeinde und es ist interessant zu lernen, wieviel jüdische Kultur Deutschland im eigenen Land zerstört hat, wo man etwa die jüdischen Feiertage kaum wahrnimmt.
Welche Eindrücke aus der Zeit in Buenos Aires sind besonderst positiv in Erinnerung geblieben´
I. Malcher: Das ist schwer auf einen Punkt zu bringen. Vielleicht das intellektuelle Klima und die dortige Debattenkultur, die Buchhandlungen an
der Avenida Corrientes, die bis Mitternacht geöffnet haben. Interessant ist auch der Zeitungsmarkt in Buenos Aires. Während in Deutschland die Bild-Zeitung die auflagenstärkste Zeitung ist und die Kommentare eines Franz Josef Wagners die Meinung der Massen prägen ist in Buenos Aires der Clarín die auflagenstärkste Zeitung, wo gelegentlich Kommentaren von Noam Chomsky oder als er noch lebte Pierre Bourdieu gedruckt wurden.
Was vermisst man aber auch in der Fremde´
I. Malcher: Laugenbrezeln und Linzertorte. Man kann sich die Rezepte aber raussuchen, die Zutaten suchen und selbst backen. Salzlauge ist nicht
einfach zu bekommen in Argentinien.
Ein sehr schönes Kapitel in Ihrem Buch beschäftigt sich mit dem Thema Fußball, was ist anderst im Vergleich zu Europa´
I. Malcher: Fußball wird in Argentinien von allen Altersschichten gelebt, jeder Platz der bespielbar ist, wird genutzt. Argentinien ist ein Land, das
Fußball atmet. Es gibt sogar eine Fußballtageszeitung. Mehr noch als die Derbys in Europa sind die Spiele der Hauptstadtrivalen River Plate und Boca Juniors ein Ausnahmezustand für das ganze Land. Die Spielweise ist auf extrem hohem technischem und taktischem Niveau. Das zeigt sich auch daran, dass argentinische Spieler, die nach Europa kommen sehr anpassungsfähig sind und oft auf mehreren Positionen spielen können und sich unterschiedlichen Spielsystemen leicht anpassen können.
Bei dem Buchtitel denkt sich der Betrachter es handelt sich um ein Tangobuch, wäre ein anderer Titel nicht passender gewesen´
I. Malcher: Das Buch ist in der Tat kein Tango-Buch, auch wenn es ein langes Tango-Kapitel darin gibt. Vielleicht wäre "Land der Illusionen" passender gewesen und dem Buch gerechter geworden. Es ist ja ein Buch, das versucht Stereotype zu beseitigen, anstatt sie zu festigen, fast schon eine Liebeserklärung. Aber Sie haben Recht. Der Titel hilft dabei möglicherweisenicht.
Wie würden Sie Ihren neuen Arbeitsplatz bei brand eins charakterisieren´
I. Malcher: brand eins ist ein ganz und gar ungewöhnliches Magazin, das sich Schwerpunktthemen setzt, lange Reportagen druckt und dessen häufig mit Preisen ausgezeichnete Optik inzwischen stilbildend ist. Die Wirtschaft wird darin nicht an Karrieren oder betriebswirtschaftlichen Kennziffern beschrieben, sondern an dem, was der Leser, der in aller Regel ein Laie ist, darüber lernen kann. Insofern läuft dieses Heft den Gesetzen der Medienbranche zuwider, es geht nicht um Sensationen, es geht ums Verstehen von Zusammenhängen. brand eins regt zum Nachdenken an, weil es neugierige und kluge Fragen stellt. Etwa als brand eins untersucht hat, was die
Privatisierung der Strom- und Wasserversorgung, der Straßenreinigung und Müllabfuhr für deutsche Kommunen bedeutet. Es gibt keine reißerischen
Überschriften und keine Superlative. Das Heft gibt es bald zehn Jahre, es hat sich durchgesetzt ohne einen großen Verlag im Rücken zu haben.
Außergewöhnlich ist auch, dass alle vergangenen Ausgaben im Internet komplett und kostenlos zu lesen und herunterzuladen sind.
Inwieweit beinflussen die Jahre in Südamerika die heutige Arbeit bei brand eins´
I. Malcher:Man lernt in Südamerika, dass Veränderungen möglich sind und wie auch wirtschaftspolitisch ein Paradigmenwechsel stattfinden kann. Man lernt auch, wie sich das Handeln und Wirken von Finanzmärkten konkret auf einzelne Länder auswirken. Nach so langer Zeit in Südamerika wird der Blick schärfer. Wenn ich die Nachrichten vom ständig steigenden Goldpreis lese, dann denke ich immer mit, wie die Goldproduktion in den großen Bergwerken etwa in Peru, das Leben der Menschen vor Ort verändert und das ganze Sozialgefüge durcheinanderbringt und unglaubliche Umweltschäden anrichtet. Das eigene Schreiben verändert sich, wenn man einmal solche Erfahrungen vor Ort gemacht hat. huhu
> Ingo Malcher, Tango Argentino. Porträt eines Landes, Beck-Verlag, 12,95, www.brandeins.de
Verlosung Wir verlosen 3 Ausgaben des Buches. Postkarte an Klappe auf, Stichwort Argentinien, Kreuzstr. 3, 76133 Karlsruhe. Einsendeschluss: 5.
Mai. Viel Glück!