Dornröschen hat ihren Auftritt, einige Zwerge, ein Jäger, Roland Barthes taucht auf und die Wand spielen in Der Tod und das Mädchen I V eine Rolle - jedenfalls auf dem Papier. Was macht ein Augenmensch mit Jelinek´ Er freut sich drauf. Endlich ein zeitgenössischer Text, sagt Michael Simon. Shakespeare liegt gerade hinter ihm und Ibsen. Simon inszeniert und choreographiert. Er arbeitet auf Theater-, Tanz und Opernbühnen und schafft immer wieder bildgewaltige Räume. Sein Black Rider bescherte ihm eine Einladung zum Theatertreffen in Berlin und 1995 den Titel bester Nachwuchsregisseur in Theater heute. Zum zweiten Mal inszeniert Simon, nach Dreamtime im Jahr 2003, am Badischen Staatstheater. Sechs Jahre lehrte er Szenografie an der HfG. Klappe auf sprach mit dem Grenzgänger über Sprachskulpturen, Jelineksche Hühner, deutsche Luxus-Theater und die (letzte) Utopie von Landmenschen in Australien.
Herr Simon, warum haben Sie sich ein Jelinek-Stück gewünscht´
Simon: Elfriede Jelinek ist mir in ihrem Denken sehr nahe. Für mich ist sie die erste zeitgenössische Autorin. Ich kenne keinen Autor, der so heutig schreibt. Ich empfinde sie als viel ehrlicher, weil sie sich der Dramaturgie des 19. Jahrhunderts widersetzt.
Heißt das, außer Jelinek ist kein wirklich zeitgenössischer Autor in Sicht´
Simon: Pollesch denkt auch radikal anders. Auch bei Katrin Röggla ist der Text an sich die Botschaft. Viele andere Autoren bauen auf dem Drama des 19. Jahrhunderts auf. Personen werden vorgestellt, dann kommt der Konflikt, die Lösung mit Mord und Totschlag - oder Liebe. Unsere Realität heute, findet da nicht statt.
Wie sieht unsere Realität aus´
Simon: Das ist so eine Art Multi-Task-Dramaturgie, ein Mehrschichten-Sozialisationsprogramm. Wie gleichzeitig spielen, chatten und dann gibts noch die Realität der Familie. Wir machen mehrere Dinge gleichzeitig - denken, handeln, fühlen. Heute sind die Kausalitäten viel komplexer, die lassen sich nicht mit dem klassischen´ Drama lösen.
Wenn Elfriede Jelinek also zwischen Dornröschen, Jackie Onassis und Jägern mäandert, gucken wir mit ihr ins 21. Jahrhundert oder stecken mittendrin´
Simon: Jelinek filtert Realität. Sie lässt sie mehrgleisig aus sich raus. Sie springt im Satz, ein Halbsatz und landet. Ich empfinde das als zeitgenössische Wahrnehmung. Ihre Sprache entzieht sich der Psychologie. Ich hab das Gefühl, es ist die Sprache selbst, die aus ihrem Kopf fällt. Alles wird plastisch, wie eine Sprachskulptur, ein Satz ist wie Wortkaskaden. Worte mäandern und man kann wie in einen Fluss hineinspringen. Es gibt keinen Anfang und kein Ende, wirklich ein schönes Phänomen, ohne dramaturgische Verbindung
Hört sich beliebig an...
Simon: Da haben wir den generellen Vorwurf an die Realität: Heute ist alles verfügbar. Das ist genau da, wo Jelinek dran ist. Man kann sich überall einloggen. Sie hat mal gesagt, für sie ist der Computer das ideale Schreibmittel.
Wie finden die Schauspieler den Jelinekschen Fluss´
Simon: Am Anfang steht eine Barriere. Aber wenn sie einmal übersprungen ist und sie rein gesprungen sind, fällt es leicht. Schauspieler sind ja gewohnt in Zusammenhängen zu arbeiten. Text funktioniert oft über den Intellekt. Und obwohl bei Jelinek jedes Wort bedeutungsschwanger aufgeladen ist, geht es nicht wie im klassischen Drama um Erkenntnis, man muss nicht jeden Satz verstehen. Ich würde sie auch immer laut lesen.
Gut, die Ohren spielen mit. Aber was macht ein Augenmensch wie Sie mit solchen Texten´
Simon: Eigentlich ist es leichter als bei Klassikern, wie Peer Gynt zum Beispiel, weil bei Jelinek die Psychologie fehlt. Ich komme vom Bühnenbild und arbeite viel mit Musik, Tanz und in der Oper. Bild und Musik funktionieren assoziativ. Der Idealzustand und meine Sehnsucht ist die Verbindung von bewegtem Körper und Objekt, also dem Menschen, der auf der Bühne das Objekt bewegt. Da verbinden sich Bühnenbildner und Choreograph. In München werde ich beides machen...
München im kommenden Jahr, Paris, gerade Bühnen-Premiere in Basel... Sie waren in Berlin an Volks- und Schaubühne, in Wien und sind von der Kritik bejubelt und verrissen worden...
Simon: Ich hab mit dem Mainstream ja nichts zu tun. Ich bin Außenseiter. Als ich mit Black Rider rauskam und zum Theatertreffen eingeladen wurde, war ich Gott sei Dank schon 37 Jahre alt. Das hatte den Vorteil, das ich mit Kritik und dem Rauf und Runter danach anders umgehen konnte. Es gibt noch eine Realität außerhalb der deutschen Theaterlandschaft. Deutschland ist ein Teil des (Theater-)Universums. Parallel habe ich als Bühnenbildner in Tokio, New York oder Amsterdam gearbeitet.
In New York haben Sie angefangen. Wie sind Sie da vom Bühnenbild zur Regie gekommen´
Simon: In New York habe ich Performance gemacht. Dort wird nicht so strikt auseinander gehalten und nach Sparten getrennt wie hier. Aus Ermangelung von Geld bin ich zum Regisseur geworden. Für das Bühnenbild fehlte Geld. Menschen kosteten nichts. Wenn man irgendwo im Ausland erzählt, was hier für ein Reichtum an Theatern und Opern herrscht....
Dann sehen Sie das deutsche Theater weich gebettet´
Simon: Unsere Gesellschaft ist der pure Luxus. Wir sind uns dieses Reichtums nicht bewusst, aber Weltmeister im Klagen. Da sind wir als Theater ganz der Spiegel unserer Gesellschaft. Es wäre schön, wenn wir ein bisschen vernünftiger und flexibler würden. Am anderen Ende steht das angelsächsische System. Man hat brillante Schauspieler. Die spielen jedes Mal wie um ihr Leben. Es geht um den Fortbestand der Produktion.
Die Markt übt dort einen ungeheuren Druck aus. Wie steht es mit dem Publikumszuspruch für Simon/Jelinek in Karlsruhe´
Simon: Das kann man nie wissen. Das Jelinek-Projekt ist sperrig. Ich kann nicht gegen das Publikum und nicht gegen meinen Instinkt arbeiten. Dreamtime hatte einen tollen Zuspruch. Wir haben mit Studenten und Schauspielern gearbeitet. Die Produktion war fürs Theatertreffen nominiert. In Dreamtime gabs drei Macbath und drei Ladies...
Das steht bei Shakespeare nicht so drin. Wie halten Sie es mit dem Jelinekschen Text´
Simon: Das ist Wort für Wort Jelinek. Und im Programmheft drucken wir den gesamten Text ab.
Was ist mit den Hühnern, kriegen wir die auch zu sehen´
Natürlich nicht! Das ist auch sehr schön in Jelinek Stücken. In den Anweisungen wendet sie sich direkt an den Regisseur. Sie spielt damit und sagt: Ihr macht ja sowie was ihr wollt.
Mach, was Du willst´ Was möchten Sie denn gerne´
Simon: Australien, das ist mein Traum. Zwei mal habe ich in Australien für Festivals gearbeitet. Ich finde, da gibt es noch eine Utopie zwischen Landmenschen... nur unter Landmenschen, aber nicht in der Kultur. Schöner Mist, was tolles, schöne Menschen, eine Utopie... und wo ist die Kultur´
Interview: Susann Lütter
Badisches Staatstheater, Elfriede Jelinek, Der Tod und das Mädchen I V, Regie Michael Simon, 28.September, 2./5./14./21./28. Oktober, außer 2.10.(19h), immer 20 Uhr, Kleines Haus.