Seit zehn Jahren residiert das ZKM im Hallenbau der früheren IWKA. Bereits 1992 hatte der 1999 verstorbene Gründungsdirektor Heinrich Klotz seine Vision folgendermaßen formuliert: Es muss in Deutschland einen Ort geben, wo der Versuch unternommen wird, die künstlerischen und medientechnologischen Resultate für die Zukunft fruchtbar zu machen und unter der Beteiligung der besten schöpferischen Kräfte eine Synthese der Künste und Medientechnologie anzustreben. Die Ermöglichung des multimedialen Gesamtkunstwerks wie auch die Erforschung der speziellen Techniken, die Beförderung des Neuen wie auch die Kritik einer blinden Medieneuphorie sind das angestrebte Ziel. Fünfzehn Jahre später spricht ZKM-Vorstand Peter Weibel mit Johannes Frisch für die Klappe Auf über das Erreichte und die Zukunft.
Inwieweit haben sich die Herausforderungen an das ZKM seit Heinrich Klotz Vorgabe geändert´
Peter Weibel: Einerseits haben wir die Ziele im Rahmen von Ausstellungen und unserer archivalischen Arbeit durchaus erreicht, andererseits waren vor 15 Jahren die Entwicklungen, die das Internet seit Mitte der 90er Jahre nahm, und die Dynamik der Globalisierung nicht absehbar.
Der Computer ist zur Universalmaschine geworden, was auch eine gewaltige kunsthistorische Veränderung bedeutet. In der Malerei verfügten lediglich die Maler über das entsprechende Werkzeug und das Knowhow, heute verfügt jeder über einen Computer, und kann damit alles machen, wenn er sich reinkniet.
YOUser - Besucher gestalten mit
Im Oktober eröffnen wir mit YOUser eine Ausstellung, die sich weltweit an die Spitze genau dieser Werkzeugrevolution positioniert, indem sie das Museum selbst in den Dienst dieser Entwicklung stellt. Wir fordern die BesucherInnen auf, zu KünstlerInnen, KuratorInnen und ProduzentInnen zugleich zu werden, sich zu emanzipieren und zu agieren.
Das wird viele Leute irritieren, aber ich bin sicher, dass die großen Museen uns auch darin in ein paar Jahren folgen werden.
Globalisierung der Kunst
Was zu Zeiten von Heinrich Klotz ebenfalls noch nicht absehbar war, sind die Effekte der Globalisierung auch für die Kunst. Damals war Kunstproduktion für uns automatisch zeitgenössisch gemäß einer europäisch-nordamerikanischen kritischen Moderne. Heute sehen wir in Ausstellungen plötzlich Werke, die ganz anderen Vorstellungen folgen und eine Mischung aus uns vertrauten und völlig unbekannten Elementen darstellen. Unser gewohnter Kanon einer modernen Kunst wird dadurch aufgelöst. Wir zeigen noch bis in den November als erste eine panasiatische Ausstellung, einen umfassenden Überblick über die aktuelle Kunstproduktion eines Kontinents, gerade weil wir uns daran gewöhnen müssen, im Museum nicht mehr nur amerikanisch-europäischer Kunst zu begegnen.
Das ZKM versteht sich nicht zuletzt als Anlaufpunkt einer internationalen, denkerischen Avantgarde, die die Fragestellungen unserer Zeit auf hohem Niveau diskutiert. Die ausschließlich in Englisch erscheinende Katalogbände etwa unterstreichen den eher elitären Charakter der Einrichtung. Welche Rolle spielt das ZKM für die Bürger, die Karlsruher und Menschen von der Straße´
Weibel: Ich glaube, das Museum muss beide Ebenen im Blick haben, die globalen Fragen wie den lokalen BürgerInnen, schließlich wird das ZKM ja auch von den Mitteln der Stadt und des Landes getragen. Es ist unsere Aufgabe, dem Publikum etwas zu bieten, was es wo anders nicht erleben kann. Und das ist in unserem Falle vor allem, den BesucherInnen zu zeigen, dass Kunst mit ihrem Leben etwas zu tun hat. Wir zeigen mediale Kunst mit sozialer Relevanz. Dabei bemühen wir uns, ein richtiges Familienmuseum zu sein, zu dem die BesucherInnen immer wieder kommen.
Karlsruhe ist keine große Touristenstadt, nur so kommen wir auf jährliche Besucherzahlen, die annähernd so hoch sind, wie die Bevölkerung der Fächerstadt. Und das auch, wenn wir es mit der Verpflichtung zur Zeitgenossenschaft ernst nehmen und aus der Kunst nicht nur das herausgreifen, was angenehm ist. Das wäre Halbbildung als Massenbetrug, nur um auf die Quote zu schielen.
Weltweit unter den Top Ten
Auch der Forschungsauftrag ist uns wichtig, denn die Kunst braucht nicht nur Geschichte sondern ebenso wissenschaftliche Begleitung. Wir würden ins 19. Jahrhundert zurückfallen, wenn wir uns von diesem Anspruch lösten, schließlich werden wir international zu den zehn wichtigsten Mussen der Welt gezählt, wofür die englischsprachigen Kataloge unumgänglich sind.
War in der Anfangsphase des ZKM Interaktivität schlicht das Zauberwort, das in allen möglichen Bereichen für Attraktivität sorgte, ist diese heute im altäglichen Gebrauch der Medien und insbesondere des Internet in einem Maße realisiert, wie man es sich vor zehn Jahren noch kaum vorstellen konnte. Inwieweit geht diese Demokratisierung der Neuen Medien mit gefährlichen gesellschaftlichen Tendenzen einher´
Weibel: Zunächst einmal bedeutet die gegenwärtige Web 2.0-Revolution, dass der Internetnutzer verstärkt seine eigenen Inhalte einbringt, das heißt der Konsument wird zum Produzenten. Das ist zunächst ja sehr begrüßenswert. Eine Gefahr dabei ist vielleicht, dass bei uns der ausgeprägte Subjektbegriff sich zum Egoismus immer weiter steigert. Das ist etwa in Asien anders, wo die Technologie viel stärker als Gemeinschaftsinstrument angesehen wird.
Derzeit wird allerorten anlässlich des Deutschen Herbsts vor 30 Jahren die Taten der RAF und das Leiden ihrer Opfer thematisiert. Vor allem auch Künstler haben dieses Thema im Lauf der vergangenen drei Jahrzehnte immer wieder aufgegriffen. Welche Lehren wären aus der künstlerischen Beschäftigung mit dem deutschen Terrorismus zu ziehen gewesen und warum ist dieses Thema heute so attraktiv´
Weibel: Dieses Thema ist bis heute nicht aufgearbeitet, die Wunde noch nicht vernarbt. Am Anfang stand der Aufstand gegen die Väter. Die jungen Leute haben damals versucht, ihre Väter zu zwingen, ihnen zuzuhören und ihnen zu erklären, warum sie Faschisten gewesen waren. Die Väter aber wollten ihre Teilnahme an Krieg und Verfolgung ungeschehen machen. Weil dieses Trauma nicht aufgearbeitet, sondern vertuscht wurde, kam es zur Reaktionsbildung, das heißt zu einer gewaltsamen, aber letztlich sinnlosen Auseinandersetzung. Es ist zu hoffen, dass es jetzt mit der zeitlichen Distanz besser möglich ist, diese Zusammenhänge zu bearbeiten. Dazu bedarf es allerdings eines sozialphilosophischen und nicht des journalistischen Ansatzes.
Der Terror bestimmt auch stark die gesellschaftliche Diskussion unserer Zeit, sei es gerade mit dem verhinderten Anschlag in Deutschland oder der Absicht des Innenministers, mit der Ausspionierung privater Computer Terroristen behindern zu können. Ist mit der weltweiten Vernetzung nicht eh schon Privatsphäre aufgegeben´
Eine Welt der Paranoia
Weibel: Die technischen Voraussetzungen für eine totale Kontrollgesellschaft sind längst vorhanden. In der Antike beschrieb man die Welt als schicksalsabhängig, Shakespeare deutete die Welt als Intrige und wir leben heute in einer Welt der Paranoia.
Wenn wir uns etwa am Flughafen bei den Kontrollen Gürtel und Schuhe ausziehen müssen, werden wir alle wie Verbrecher behandelt und als potentielle Terroristen angesehen. Heute werden Bürgerrechte, für die Generationen gekämpft hatten, aus Sicherheitsgründen geopfert. Und es ist schon besonders absurd, dass ausgerechnet der Stellvertreter Jesu Christi, der für den Glauben sein Leben opferte, im kugelsicheren Gefährt durch die Landschaft fährt.
Die Ausstellung »YOU[ser]: Das Jahrhundert des Konsumenten« fordert die BesucherInnen auf, selbst zu KünstlerInnen, KuratorInnen und ProduzentInnen zugleich zu werden, sich zu emanzipieren und zu agieren. Macht sich das Museum damit nicht überflüssig, ist das Museum der Zukunft dann nicht längst schon das eigene Wohnzimmer mit der Multimedia-Konsole´
Weibel: Nein, wir machen das Museum nicht überflüssig, weil der technische Standard hier weit über dem liegt, was bislang zu Hause im Wohnzimmer möglich ist. Gerade die Medienkünstler sind oft viel weiter, als das, was die Industrie für den Privathaushalt anbietet, und es ist unsere Aufgabe, immer wieder KünstlerInnen zu finden, die weit vor der Speerspitze der Unterhaltungsindustrie sind.
Sie sind in einem Alter, in dem andere an den Ruhestand denken. Wie lange wollen Sie ZKM-Vorstand bleiben´
Weibel: Mein Vertrag läuft bis Ende 2009, mit dieser Frage werde ich mich im kommenden Jahr beschäftigen. Aber man fühlt sich mit 65 heute auch längst nicht so alt, wie noch vor 50 Jahren. Im Gegenteil fühlt man sich immer noch recht fit und hat sogar das Gefühl Jetzt geht es erst richtig los.
> Sa 20.10. Ausstellungseröffnung YOU[ser]: Das Jahrhundert des Konsumenten, 18 Uhr
So 21.10., ZKMBesucherfest »10 Jahre ZKM im Hallenbau A«, 1119 Uhr