Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 03.2007
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Monopol für Vielfalt

Presse-Grosso

Wie kommen Zeitschriften in die Läden´

Ein dicker Stapel mit drei verschiedenen Teddybären-Magazinen, drei Feuerwehr-Magazine und als Höhepunkt vor einiger Zeit „Fire&Food - Das Barbecue-Magazin“. Seltsam, was man alles im Zeitschriftenregal findet! Alle paar Wochen wird das übergroße Sortiment durch weitere Frauen-, Fernseh- und Computermagazine ergänzt. Doch wer entscheidet, welche Hefte in die Läden kommen´ Wer weiß, was man wo verkaufen kann´ Klappe Auf informierte sich über dieses Thema beim Presse-Grosso Mende in Eggenstein, das im Großraum Karlsruhe eine Art Schaltzentrale für diese Medien ist.

Das System
Schon bald nach dem zweiten Weltkrieg überlegte man in Deutschland, auf welche Weise man Pressevielfalt und Pressefreiheit möglichst gut gewährleisten könnte. Als Folge darauf wurden die Presse-Grossos erschaffen, ein weltweit einzigartiges System. Die Grossos beliefern ganz Deutschland nach gut durchdachten Regeln mit Zeitungen und Zeitschriften. Heute wird fast die Hälfte der Auflage von Zeitungen und Zeitschriften über Presse-Grossos vertrieben. Der Rest kommt über Abos oder Lesezirkel in den Umlauf, und für 4,4 % ist der Bahnhofsbuchhandel zuständig.
Jedes Grosso hat einen bestimmten, fest zugeteilten Bereich, der sich nicht mit dem Gebiet anderer Grossos überschneidet. Ein Wettbewerb unter den Grossisten würde dazu führen, dass aus Kostengründen unrentable Läden in Randgebieten nicht mehr beliefert würden und dass Hefte mit kleinen Auflagen nicht mehr ins Sortiment kämen.

Die Lieferung
Mit Ausnahme vom Bahnhofsbuchhandel werden grundsätzlich alle Läden, egal ob Supermarkt, Buchhandlung, Tankstelle oder Kiosk, von Presse-Grossos beliefert. Dies hat sowohl für den Handel als auch für die Verlage den Vorteil, dass sie sich nicht einzeln mit unzähligen Geschäftspartnern bemühen müssen, sondern alles zentral abläuft. Für die Leser wird mit diesem System gewährleistet, dass selbst Medien mit minimaler Auflage und Zielgruppe in den Handel kommen und auch in dem entlegendsten Dorf alle Publikumszeitschriften und Zeitungen erhältlich sind, selbst wenn sich dies für die Lieferanten betriebswirtschaftlich nicht lohnen würde. Die Presse-Grossos sind verpflichtet, alles zu liefern, unabhängig von politischen oder ethischen Interessen. Ausgenommen sind natürlich Medien, die gegen geltendes Recht verstoßen. Auch der Einzelhandel hat einen Abnahmezwang für alle für ihn verkäuflichen Titel und darf nicht aus persönlichem Geschmack heraus eine Zensur in seinem Angebot vornehmen. Durch die Preisbindung auf allen Handelsstufen wird gewährleistet, dass jeder die gleichen Chancen hat.
Natürlich hat es keinen Sinn, ganz spezielle, nur an einzelne Berufssparten gerichtete Zeitschriften im Laden zu verkaufen. Die Fachmagazine für Anwälte, Ärzte, Architekten u.a. kann der Handel auf Wunsch direkt von den betreffenden Verlagen beziehen, aber allgemein verbreiten sich diese Hefte mehr über Abonnements.
Wer in Deutschland einen Laden eröffnet, der muss sich nur rechtzeitig beim zuständigen Grosso melden und bekommt ein paar Tage später alle Zeitungen und Hefte, die er voraussichtlich für seinen speziellen Standort braucht, ohne raten zu müssen, was seine zuküntige Kundschaft vielleicht kaufen möchte.
Ein Verlag kann dagegen praktisch auf Knopfdruck seine nächste Neuerscheinung zielgerecht an den für dieses Objekt idealen Stellen positionieren.

Die Rückgabe
Da für die nichtverkaufte Ware vollständiges Rückgaberecht besteht, trägt der Verkäufer kein Risiko. Dafür muss er aber auch Hefte ins Regal legen, die er normalerweise nicht bestellen würde. Doch damit geht es ihm besser als allen anderen Handelsbereichen. Wer beispielsweise Obst und Gemüse verkauft muss morgens zum Großmarkt fahren, dort genügend Ware einkaufen, gleich alles bezahlen, und was abends übrig bleibt, landet als Verlust im Kompost.
Das Remissionsrecht verhindert, dass nur Bestseller und andere Objekte mit einer bestimmten Mindestauflage vertrieben werden. Außerdem soll dadurch gesichert werden, dass nicht nur so geringe Mengen ins Angebot kommen, dass eine Zeitschrift nach zwei Tagen ausverkauft ist. Alles muss bis zum letzten Angebotstag in ausreichender Menge vorrätig sein. Wenn ein Heft doch schon vorzeitig ausgeht kann dieses beim Grosso nachbestellt werden. Dies wird z.T. automatisch an der Scannerkasse durch den Barcode ermittelt.
Eine Quote von etwa einem Drittel Remittenten ist immer einkalkuliert. Langlebige Hefte wie z.B. Rätselzeitschriften gehen an den Verlag zurück, so dass sie später an anderer Stelle eingesetzt werden können, der Rest wird zu Altpapier verarbeitet.


Der Verteilerschlüssel
Als Gegenzug zum Remissionsrecht haben die Verlage ein Dispositionsrecht. Sie können anhand der ermittelten Verkaufszahlen die künftigen Bezugsmengen für Grosso bzw. Einzelhändler festlegen. Wichtig ist, dass immer möglichst die richtige Menge zum richtigen Zeitpunkt an die richtige Stelle geliefert wird. Sieben Tage in der Woche werden beim Presse-Grosso an langen Fliesbändern für jeden einzelnen Händler individuelle Bezugspakete sortiert. Ab 0 Uhr fügt man diesen noch die aktuellen Zeitungen dazu. Am frühen Morgen beliefert man dann sämtliche Händler.
Bei Erhalt der neuen Ware wird die alte, unverkaufte Ware an das Grosso zurückgegeben. Dort wird morgens per Barcode-Scan jedes einzelne Objekt erfasst. So kann tagesaktuell aufs Heft genau ermittelt werden, was an den einzelnen Stellen verkauft wurde. Dadurch kann man zielgruppengerecht die künftige Liefermenge festlegen. Wenn in einem Laden kein einziges Anglermagazin verkauft wurde, bekommt er auf Dauer auch keines mehr, wenn er mehrere verkauft, wird er automatisch in den Verteiler eines in Zukunft erscheinenden weiteren Anglerheftes aufgenommen.
Am Ende eines Tages werden die Verkaufsdaten an den Grossist gemeldet. Auch dadurch kann man den künftigen Lieferbedarf sehen.

Sortimentauswahl
Alle Geschäfte werden jahrelang analysiert, zum Beispiel nach Lage, Zielgruppe. Auch das hat Einfluss auf die Verteilerschlüssel. Es ist auch für den Laien leicht nachvollziehbar, dass in Oberreut oder Stupferich teilweise andere Zeitschriften besser verkauft werden als in der Wald- oder Südstadt. Für eine 24 Stunden geöffnete Großtankstelle braucht man ein anderes Sortiment als für eine Universitätsbuchhandlung.
Vor der Produktion einer neuen Zeitschrift stimmen sich Verlag und Grosso so ab, dass die Remittenten-Zahlen möglichst gering sind. Es sollen möglichst genaue Verkaufsvorhersagen getroffen werden. Bei der Verteilung der Auflage werden auch Faktoren wie Sonderthemen, saisonale Verschiebungen etc. berücksichtigt. Die Verlage können die Absatzwege, Absatzmengen und den Absatzkanal-Mix bestimmen.

Wettbewerb
Vor Jahrzehnten festgelegte Regeln´ Ausschließliche Bearbeitung eines Gebiets durch einen einzigen Grosso´ Auf den ersten Blick klingt dies wie eine bedenkliche Monopolstellung. Doch in Wahrheit soll gerade durch dieses System vermieden werden, dass z.B. einer der großen Verlage in bestimmten Gebieten seine finanzielle Macht ausnützt, um durch Beeinflussung des Vertriebs kleinere Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Die Gebietsaufteilung der Grossos ändert sich fortwährend, auch kann entsprechend den Gesetzen des Marktes das Gebiet eines Grossos auch von einer anderen Firma übernommen werden, aber nur solange das Kartellamt nicht widerspricht. Da entsprechend der Preisbindung jeder Grosso (ebenso wie jeder Händler) den selben Anteil am Verkaufspreis eines Hefts bekommt gibt es auch keinen Preiswettbewerb.

Schulprojekt
Presse-Grosso Mende war übrigens einer der ersten Kooperationspartner, die bei dem 2003 von der Stiftung Lesen und der Stiftung Presse-Grosso ins Leben gerufenem Projekt „Zeitschriften in die Schulen“ mitgemacht hat. Hierbei werden 4 Wochen lang kostenlos Pakete mit Zeitschriften aller Art an die teilnehmenden Schulklassen geliefert, die dann im Unterricht verwendet werden. Dieses Projekt soll bei den Schülern das Interesse an Zeitschriften wecken. Auch in Karlsruhe werden jeweils nach den Osterferien 100 Klassen in 25 Schulen beliefert.

Fakten und Zahlen
Bundesweit verbreiten 78 Grosso-Firmen über 4000 Titel. An fast 119.000 Verkaufsstellen werden etwa 2,85 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr erwirtschaftet. 140 Verlage beliefern die Grosso direkt, aber auch verschiedene Distributoren (Zwischengroßhandel) liefern an Grossos, z.T. auch ausländische Publikationen. Vom Verkaufspreis gehen etwa 70 % an den Verlag, 13 % an das Grosso und 18 % an den Laden. Von manchen Heften werden im gesamten Bereich eines einzelnen Grosso nur 10-20 Exemplare verkauft. Das Presse-Grosso Mende ist seit den 40er Jahren für den Bereich Karlsruhe, Bruchsal, Ettlingen zuständig, ein Gebiet mit etwa 700.000 Einwohnern. Er liefert pro Woche etwa 1 Million Exemplare an ca. 1000 Stellen. -gk