Seit der Spielzeit der Spielzeit 2018/2019 leitet Stefanie Heiner die Sparte Volkstheater am Badischen Staatstheater. Im April hätte die Abteilung, die die Bürgerinnen und Bürger der Stadt in den Fokus nimmt, gleich zwei Premiere auf dem Spielplan gehabt. Klappe Auf unterhielt sich vor dem Corona-Lockdown mit der Theater- und Tanzpädagogin, die auf die Öffnung des Theater zur Stadtgesellschaft setzt. Corona und die aktuelle Führungskrise am Badischen Staatstheater hatte damals noch keine Rolle gespielt.
Sie sind seit zwei Jahren Leiterin der Karlsruher Volkstheatersparte. Welchen Eindruck haben Sie durch ihre Arbeit von Karlsruhe und den Karlsruherinnen gewonnen?
Heiner: Einen sehr guten! Wir haben in der vergangenen Spielzeit schon vier Produktionen herausgebracht und Theaterclubs organisiert, wobei mehr als 180 Menschen zwischen sieben und über 70 Jahren mitwirkten. Außerdem sind wir in der Stadt unterwegs und suchen den Kontakt zu Karlsruher Institutionen für Projekte wie den inklusiven Volkstheaterclub für Jugendliche und Erwachsene, den wir mit der Albschule anbieten. Ich hatte schon viele tolle Begegnungen mit vielen sympathischen Menschen.
Die sogenannten Bürgerbühnen verfolgen sehr unterschiedliche Konzepte, welcher Moment ist Ihnen am wichtigsten?
Heiner: Dass hier Menschen zusammenkommen, die sich im Alltag so nicht begegnen würden und sich über Themen von höchst unterschiedlichen Perspektiven her austauschen. Wir starten ja nicht mit einem fertigen Text, sondern konzentrieren uns auf ein Thema und entwickeln gemeinsam den Abend. Wenn wir dann über den Aufführungsprozess diese Auseinandersetzung mit einem weiteren Personenkreis teilen können, dann ist das für mich ein sehr schöner Moment.
Welche Menschen sind es, die sich aktiv beteiligen wollen? Und wodurch unterscheiden sich diese von jenen Theaterbegeisterten, die sich etwa einer Laienspieltruppe anschließen?
Heiner: Da gibt es zwei Gruppen. Zum einen die Theaterbegeisterten, die einfach aus Lust am Theater dabei sein wollen und gerne wiederkommen. Und die anderen, die von einem Thema angezogen werden, mit dem sie sich intensiv beschäftigen möchten. Ich versuche darauf zu achten, dass es zu einer guten Mischung aus beiden Kreisen kommt.
Gelingt es dem Volkstheater auch neue Publikümer anzusprechen?
Heiner: Gerade dadurch, dass wir hochaktuelle Themen aufgreifen, haben wir ein sehr vielfältiges Publikum. Auch durch die interaktiven Formate wie bei der Produktion „Casino Global“, bei der alle Beteiligten spielerisch aktiv ins Geschehen einbezogen sind, sprechen wir auch Menschen an, die vielleicht sonst nicht zu den klassischen Theatergängern zählen.
Kommen diese denn auch, oder werden sie eher abgeschreckt, wenn sie zur aktiven Teilnahme aufgerufen sind?
Heiner: Es kann schon sein, dass manche regelmäßigen Theatergänger, die vielleicht nicht so genau wissen, was sie erwartet, eher zufällig zu uns geraten. Am Ende sind sie jedoch in aller Regel sehr angetan, weil man gerade im aktiven Austausch zu ganz anderen Erfahrungen kommen kann, als wenn man nur zuhört. Eine Besucherin hat das so ausgedrückt, dass man aus einem Abend bei uns sehr viel für sich mitnehme.
Inwieweit erfüllt das Volkstheater einen Kunstanspruch, oder ist diese Fragestellung schon falsch?
Heiner: In der Tat ist das eine falsche Frage, denn - und das ist mir besonders wichtig - geht es uns immer darum zu einem künstlerischen und ästhetischen Ergebnis zu kommen. Auch wenn die auf der Bühne Stehenden keine Theaterprofis sein mögen, so sind sie es doch auf einer anderen Ebene, weil sie zum Beispiel für ein bestimmtes Thema eine besondere Expertise haben. Wir alle drum herum sind Profis, die die Aufgabe haben, die passende Form zu entwickeln, die ihren Auftritt zu einem künstlerischen Ereignis werden lässt. Das ist ein großer Anspruch und die sich daraus bildenden vielfältigen neuen Theaterformate sind für uns in einer Stadt wie Karlsruhe sicherlich ein Alleinstellungmerkmal.
Im April hätten gleich zwei Volkstheater-Produktionen am Badischen Staatstheater Premiere gehabt.
Heiner: Da ist zum einen das von mir hier eingebrachte Format „Try Out“, bei dem ein Team dreier Jugendlicher unter professionellem Mentoring eine Stückidee verfolgt und auf die Bühne bringt. „Kill Your Fathers“ handelt von Klimawandel und Generationenkonflikt, die gegenwärtig miteinander hergehen. Für „Europa S“, das wir als Beitrag zu den Europäischen Kulturtagen auf die Bühne bringen, haben wir über einen Aufruf Bürgerinnen und Bürgern eingeladen, die entweder schon sehr lange oder erst seit kurzem in Karlsruhe leben. Dadurch fand sich ein sehr multinationales Ensemble, das auf die gegenwärtigen europäischen Krisen sehr unterschiedliche Sichtweisen mitbringt. Dazu kam dann die türkische Schriftstellerin Ceren Ercan, die zunächst zahlreiche Interviews führte. Aus ihrer Außen- und den unterschiedlichen Innenperspektiven entwickelte sich eine sehr spannende und interessante Arbeit, die vielleicht am Ende ein Kaleidoskop der Zukunftsperspektiven bieten kann, das die unterschiedlichen Meinungen nicht einebnet.
Beide Premieren fielen dem Aufführungsstopp durch die Corona-Pandämie zum Opfer. „Europa S“ wird am 14. Oktober 2020, 20 Uhr, Kleines Haus, Badisches Staatstheater, Hermann-Levi-Platz 1, Premiere feiern.