Buchtipp:
Zur Ausstellungeverlängerung von Making Things Public erschien nun auch der Ausstellungskatalog, ein über 1000 Seiten starkes Werk, fast eine Bibel, in der die Ausstellungskuratoren Peter Weibel und Bruno Latour gegliedert nach den Abteilungen eine Fülle von wissenschaftlichen und künstlerischen Beiträgen, Abbildungen und Dokumenten versammeln, die zum Stöbern einladen. Die durchgängig in englischer Sprache verfasste Publikation wurde gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology herausgegeben und kostet im ZKM 37 Euro.
Veranstaltungstipp:
Die Karlsruher Gruppe des für soziale und ökologische Gerechtigkeit streitenden Netzwerks attac hat die fünf Karlsruher BundestagskandidatInnen von Bündnis 90/Grünen, CDU, FDP, Linkspartei und SPD am 1. September in den Zieglersaal (Baumeisterstraße 18) zur Befragung eingeladen.
Netztipp:
Nach dem Motto Nicht lange fackeln, sondern sofort wackeln kann man im Netz unter http://www.sueddeutsche.de/bundesdance Merkel, Schröder und Stoiber tanzen lassen. So wird Politik zur wahren Spaßkultur.
Ob denn auch tatsächlich gewählt würde, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest, die Stadt Karlsruhe hatte indes trotz der noch ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bereits die Einladungen verschickt. Im Hinblick auf die nicht unwahrscheinliche Bundestagswahl am 18. September unterhielt sich für die Klappe Auf Johannes Frisch mit dem Leiter des ZKM, Peter Weibel, einem als Österreicher unbefangen dreinblicken könnenden Beobachter der Bundesrepublik über Kunst und Zustand der Politik im Medienzeitalter.
Herr Weibel, Sie haben gerade ihre Ausstellung Making Things Public. Atmosphären der Demokratie bis zum 3. Oktober verlängert. Wie attraktiv ist das Thema Politik in Zeiten, da man allenthalben über Politikverdrossenheit klagt´
Peter Weibel: In Deutschland längst nicht so attraktiv wie in anderen Ländern, etwa in Frankreich, Italien oder Spanien, wo wir mit unserer Ausstellung bei der Presse, aber auch beim Publikum ein wesentlich größeres Echo gefunden haben als hier. Das ist bezeichnend für den zunehmenden Niedergang der politischen Kultur hierzulande, wo die Politik Gefahr läuft, nur noch im Boulevard Aufmerksamkeit zu finden, das heißt, dass oftmals die Politiker nicht mehr wegen ihres politischen Wirkens, sondern nur privat von Interesse sind, ob sie Pflegekinder haben oder ihre Frau gut behandeln und so weiter. Aber auf diesem Niveau kann man keine Ausstellung machen. Unsere Ausstellung ist ein Plädoyer für die Erweiterung des Parlamentarismus. Wir treten gegen das alte, rechtspopulistische Vorurteil an, das Parlament sei eine Quatschbude, indem wir die ganzen, durch Naturwissenschaften, Soziologie und Kunst bereitgestellten neuen Werkzeuge der Demokratie aufzeigen und kritisch beleuchten. Für Deutschland kommt diese Ausstellung zum rechten Moment, weil nichts dringlicher ist als die Auseinandersetzung mit diesen Themen. Es ist zufälliger- und glücklicherweise eine Ausstellung zur Wahl 2005, damit die Menschen wissen, was zur Wahl steht.
Bereits seit März steht damit im Zentrum für Kunst und Medientechnologie die Politik im Mittelpunkt. Welches Verhältnis oder welche Beziehung besteht gegenwärtig zwischen Kunst und Politik´
Weibel: Die Mehrzahl der zeitgenössischen Künstler beschäftigt sich mit politischer Kunst. Mehr noch als hier etwa in Brasilien, Afrika oder China. In China hat sich zum Beispiel eine ganz neue Art der politischen Ikonographie entwickelt, die vieles hier aus Europa altbacken aussehen lässt. Global gesehen beschäftigt sich bestimmt 80 Prozent der Kunstproduktion mit den Folgen der Politik. Der Kunstmarkt jedoch sucht immer nur das Schöne und blendet die politisch orientierte Kunst wie das zumeist restaurativ ausgerichtete, deutsche Feuilleton vollkommen aus. Wenn auf 100 kritische Künstler acht kommen, die schöne Kunst machen, werden diese zum Trend erhoben.
Dass die Medien, sprich die Massenmedien, voran das Fernsehen für die Politik allerhöchste Priorität genießen, kann man schon bei dem Hickhack um die Anzahl der Fernsehduelle zwischen Kanzler und Herausforderin bestens erkennen. Verkommt damit Politik zur oberflächlichen Soap oder ist Politik im Fernsehen eher Medienkunst´
Weibel: Beide Beobachtungen treffen auf ihre Weise zu. Zum einen wird die Politik immer mehr zum Spektakel und zum Bestandteil einer Spaßkultur, dass man sie wie in einem Erlebnispark ausstellen kann. Zum anderen wird der Politiker immer mehr zum Darstellungskünstler, und damit die Politik zu einer Kunstform, allerdings auf absolut niedrigem Niveau. Sie werden nurmehr Sätze hören wie Unser Programm ist besser, aber keiner kann mehr sagen, warum und wieso. Das Argumentative ist vollkommen auf der Strecke geblieben.
Durch die Vielfalt der Medien haben wir heute den Eindruck, so gut informiert zu sein wie noch nie, das heißt die Menschen könnten also qualifizierter entscheiden denn je. Herrschen in den Medien aber statt Information nicht Inszenierung und Manipulation vor´
Weibel: Wenn jemand Wissen sucht, kann er das in den Tageszeitungen und im Internet finden. Wer aber nicht suchen will und sich auf bestimmte Seiten und Publikationen blind verlässt, setzt sich der Gefahr aus, manipuliert zu werden. Doch im Bezug auf Wirtschaftsdaten, aber auch Korruption und Skandale liest man über Deutschland in den amerikanischen und britischen Wirtschaftsmagazinen wesentlich mehr und ausführlicher als in den hiesigen Zeitungen. Das finde ich einen bedenklichen Zustand.
Eines der Hauptgebiete der Politik ist die Organisation des wirtschaftlichen Wohlstandes einer Gesellschaft. Korruption, Misswirtschaft, Begünstigung, Insidergeschäfte, Pleiten und jede Menge bestens abgefederter Rücktritte, der Kapitalismus, der zwischenzeitlich als einzig verbliebenes Wirtschaftsmodell erschien, ächzt gerade mächtig. Ist diese Wirtschaftsstruktur noch zukunftsfähig oder ist nicht radikales Umdenken angesagt´
Weibel: Ich bin mir sehr sicher, dass der Kapitalismus in seiner heutigen Form keine Zukunft mehr hat. Drei Dinge möchte ich hervorheben. Zum einen die Systemstabilität, die zur Folge hat, dass egal welches Individuum sich in ihm bewegt, seine Struktur sich nicht ändert. Das ist wie im späten Feudalismus, als die Mächtigen, wie wir wissen, inkompetente Persönlichkeiten waren und sich das System dennoch noch lange aufrecht erhielt. Am Ende ist es dann blutig zu Ende gegangen, weil das System zu lange stabil war. Diese Inkompetenz fördert, zweitens, irrationale Entscheidungen. Es ist unglaublich, dass es keine Mechanismen in den Firmen gibt und auch die Medien nichts ausrichten, riesige Fehlentscheidungen von Spitzenmanagern zu revidieren. Zum dritten gibt es auf akademischem Boden bereits eine Menge junger Leute, die uns in den nächsten Jahren eine Vielzahl von neuen Konzepten und Vorstellungen von der Finanzierung unserer Gesellschaft vorlegen werden. Auf diese Leute sollte man bauen und nicht, wie die Politik es tut, immer nur nach den Wünschen der Unternehmer zu fragen, in der Hoffnung diese schüfen dann Arbeitsplätze. Das verkennt die Aufgabe des Unternehmers, dessen Ziel es sein muss Profit zu machen.
Was halten Sie als Österreicher von einer gerade neuformierten Partei in Deutschland, die sich Die Linke nennt und mehr oder weniger direkt die SED aus DDR-Zeiten beerbt´
Weibel: Die Schwächung des Parlamentarismus führt immer zu der Ausbildung des Rechtsextremismus und gleichzeitig dem Erstarken des Linkspopulismus. Ich weiß nicht, ob die CDU oder die SPD am Ende regiert, aber eines ist sicher: Durch die jüngst stattgefundene Abwahl ist das Parlament geschwächt und dadurch werden zwangsläufig die Rechtsextremen und die Linkspopulisten an Zuwachs gewinnen.
Überhaupt, links und rechts, welche Bedeutung haben diese Begriffe heute noch als politische Kategorien´
Weibel: Nachdem wir sehen konnten, wie sehr sich die politischen Inhalte der großen Parteien gleichen, müssen deswegen Wege gesucht werden, um zwischen guter und schlechter Regierung unterscheiden zu können. Die Begriffe rechts und links werden insofern historisch obsolet.
Als Künstler und ehedem kritischer Provokateur haben Sie es heute in der Funktion des Institutionsleiters vorwiegend mit konservativen und bürgerlichen Politikern zu tun, inwieweit werden Sie dabei selbst zum Politiker und Diplomaten´
Weibel: Wir haben hier in Baden-Württemberg eine außergewöhnlich privilegierte Position. Nehmen Sie Wien, wo in einer Ausstellung unter dem Titel Die nackte Wahrheit in der Hauptsache gespreizte weibliche Schenkel gezeigt werden und eine Werbekampagne läuft, die jedem Nackten freien Eintritt verspricht, dagegen sind die Dschungel-Shows von RTL hochkulturelle Festwochen. Wir in Karlsruhe können hingegen Ausstellungen wie diese machen, in denen Museen ihren wissenschaftlichen Auftrag, den BürgerInnen zur Emanzipation zu verhelfen, noch ausüben, und dies bei den Politikern und Beamten auch so verstanden wird. Dass die Politik die Bedingungen geschaffen hat, als Kulturaktivist hier arbeiten zu können, hat mich davor bewahrt, Politiker werden zu müssen.
Was würden Sie einem jungen Menschen raten, der überlegt, ob er am 18. September überhaupt zur Wahl gehen sollte´
Weibel: Einerseits sollte er auf alle Fälle wählen gehen, weil man kein Grundrecht preisgeben sollte, für das die Generationen vorher gekämpft haben. Zum anderen sollte er alle Möglichkeiten nutzen, an der Performativität des Politischen selbst mitzugestalten. Das kann man tun, indem man sich möglichst viel in sogenannten Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder Ärzte ohne Grenzen engagiert, die eine neue Art der politischen Arbeit leisten, indem sie aktiv an der Gestaltung und Verbesserung der Welt mitwirken.