Noch verweist das an einen Baum gelehnte, angeknitterte Blechschild mit der Aufschrift „Ateliers Hinterm Hbf“ auf ein Idyll, wie man es in Karlsruhe vermutlich kein zweites Mal mehr findet - und bald vielleicht auch nicht mehr finden wird. „Dieses Kleinod hat aufgrund der städtebaulichen Lage die Qualität von Offenheit und Rückzugspotential zugleich,“ sagt einer der Künstler, der sich seit über 20 Jahren vom Blick auf die Gleise und der einzigartigen Atmosphäre in einer faszinierenden Mischung aus Abgeschiedenheit und Verbundenheit mit der großen weiten Welt inspirieren lässt. Er ist einer von rund zwei Dutzend Künstlerinnen und Künstlern, die hier zu günstigsten Preisen und in bescheidenster Ausstattung von dem Dauerprovisorium profitieren, das die Nutzung der einstigen Bahnwerkstätten und Mitarbeiterunterkünfte bislang bedeutet. Ein Stromausfall hatte jüngst den Blick der Stadtbehörden auf eklatante Sicherheitsmängel auf dem Gelände gelenkt, für die die Stadt als Eigentümer keine Verantwortung mehr übernehmen will. Kurzerhand wurde den Künstlern die Räumung angekündigt. Deren Aufschrei rief die Politik auf den Plan und bald besuchten alle Gemeinderatsfraktionen die kleine Künstlerkolonie und ließen sich vom Charme der im Lauf von zwei Jahrzehnten lauschig zugewucherten Kreativoase verzaubern. Keine Gruppierung, die sich nicht mit der Forderung nach Erhalt der Ateliers solidarisierte und nach Wegen aus der drohenden Misere suchte. Noch vor der Sommerpause beschloss der Gemeinderat mit großer Mehrheit, dass die teils denkmalgeschützten Gebäude, darunter das stattliche, gleichwohl marode Heizkesselhaus, auch in Zukunft der Kunst und Kreativität gewidmet bleiben sollen.
Ein Kunst- und Kreativpark soll hier entstehen, was zunächst gut klingt, - es bedeutet für die meisten der hinter dem Hauptbahnhof arbeitenden Künstlerinnen und Künstler jedoch den worst case, denn zuallererst sollen die Künstler das Feld räumen. Die Stadt wolle bei der Suche nach Ersatzflächen behilflich sein und einen späteren Einzug auf das dann durchsanierte Areal wieder anbieten, dann zu marktüblichen Preisen. „Ich dachte nach den langen Jahren des Dauerprovisoriums, wäre es an der Zeit nun eine langfristige Perspektive zu bekommen“, sagt Karin Seemann, eine der Ateliernutzerinnen, die sich angesichts der ermutigenden Politikerbesuche auf dem Gelände in Aufbruchstimmung versetzt fühlte. „Wir sind nicht sehr anspruchsvoll, was unsere Ateliers angeht“, sagt der Maler Thomas Biedermann, „aber wir brauchen einen Raum mit gutem Licht zu günstigem Preis und eben auch Platz, um unsere Arbeiten zu lagern.“ Für die Künstler kam der Gemeinderatbeschluss überstürzt. Man hätte sich von der Stadt eine behutsamere Vorgehensweise und mehr Gesprächsbereitschaft gewünscht. Zumal die gravierenderen Mängel der Elektroanlagen von Handwerkern schnell fachgerecht behoben worden waren. Die Erarbeitung eines Konzepts für das Gelände und eine Sanierung Gebäude für Gebäude ist ihr Wunsch. Dass damit die Zeiten der Niedrigstmieten vorbei sind, ist den Künstlern nachvollziehbar, eine eigene Beteiligung komme durchaus in Betracht. „Wenn jedes der Ateliers vielleicht 20.000 Euro einbringen würde, könnte man hier sicherlich das meiste in einen ordentlichen Zustand bringen,“ denkt etwa der Bildhauer Klaus Gündchen laut, der mit seinen spitzigen, silberglänzenden Stahlplastiken auf dem Gelände unübersehbar ist. Eine Dreiteilung des Geländes in einen öffentlichen Bereich für Ausstellungen und kleinere Veranstaltungen im Industriedenkmal Heizhalle, zum anderen vom Kulturamt subventionierte Ateliers für Künstlernachwuchs und zum dritten zu Marktpreisen vermietete Ateliers für etablierte Künstler kann sich der Maler Bruno Kurz vorstellen. "Es bleibt zu hoffen, dass eine ‚sanfte Sanierung‘ die Oberhand behält und dabei das Gebäudeensemble mit seinen Räumen den einzigartigen Charme behält. Als kürzlich die Vertreter des Denkmalamtes hier durchgingen, sagten sie, dass man im Grunde vieles in diesem Zustand belassen sollte, wie die alten Anstriche mit ihren Fehlstellen und Spuren der Geschichte, die diese Häuser erzählen. Wenn hier alles glattgebügelt und gestriegelt wird, kann von dem gegenwärtigen Flair viel verloren gehen."
Als Manko in der gegenwärtigen Situation der Künstler hinterm Hauptbahnhof erweist sich schmerzlich, dass sie in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr gemeinsam öffentlich in Erscheinung traten. Das soll nun nachgeholt werden. Die Karlsruher können den Charme dieses einzigartigen Ortes am 3 .Oktober bei einem Tag der offenen Ateliers kennenlernen. jf