Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 09.2005
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Lidellplatz

Verstecktes Kleinod

Josef Beuys signierte die Einladungskarte persönlich, A. R. Penck stellte aus und Sigmar Polke zeigte Arbeiten. Manchmal dehnte sich die Galerie am Lidellplatz nach draußen aus: Ein Objekt wanderte aufs Trottoir - ein Mitarbeiter vom nahen Polizeiposten sammelte es ein. Ausstellen im öffentlichen Raum, das war verboten, erinnert sich Karlheinz Meyer. Er lacht. Auch anderer Besuch aus der Nachbarschaft wie der Wirt vom „Kleinen Ketterer“ kam in die Markgrafenstraße 32. „Am Ende von Vernissagen brachte er Buletten“, erzählt der Galerist.
Schmuck liegt heute in den Räumen in denen „Grafikmeyer“ zu Beginn der 70er Jahre moderne Kunst unters Volk bringen wollte. Ein Stück weiter hat eine Kaffee-Bar eröffnet, gegenüber prangt ein Pudel als Label eines Ladens. Der Gewerbehof ist beinahe in die Jahre gekommen und beim Krempel-Tempel platzen im Schaufenster Kitsch, Kunst und Nützliches wie eh und je aus den Nähten. Auch ein kleines „Rotlicht“ flackert noch am Platz.

„Das war eine tolle Situation am Lidellplatz“, erinnert sich der Galerist Karlheinz Meyer: eingebettet ins Rotlichtviertel, das Wettbüro nebenan, die Schule an der Seite, ein Polizeiposten. Aber die Karlsruher spielten zu Beginn der 70er Jahre nicht wirklich mit. Zeitgenössische Kunst´ Und die in einem Ladengeschäft mit Schaufenster´ Das Karlsruher Publikum machte nur in „beschränktem Maße“ von dem Angebot Gebrauch. „Von der Szene wurden wir recht intensiv wahrgenommen“, sagt Meyer. Die Arbeiten der Künstler, gerade auch der documenta Teilnehmer waren umstritten. „Beuys wurde hier schlecht aufgenommen. Ich musste mich von Pseudosachverständigen und Sammlern beschimpfen lassen“, erzählt Meyer. Und zahlende Kundschaft machte sich rar. „1972, zwei Jahre nach der Eröffnung, haben wir zum ersten Mal verkauft, das war auf der Messe in Basel“, sagt Meyer.

Bäume beschatten den Platz, Kinder buddeln im Sand, zwei(!) Brunnen sorgen für Gesprächsstoff („hässlich der neue“ und „schön der alte“ oder umgekehrt). Der Verkehr bleibt von Radfahrern abgesehen, an zwei Achsen ausgesperrt. Eine Spur Rotlicht ist geblieben, Wetten werden immer noch angenommen. Der Charme des Platzes und die zentrale Lage haben neben den moderaten Mieten viele der Unternehmer, die sich in den letzten zwei Jahren dort niedergelassen haben, überzeugt. Manchmal waren es einfach nur die Räume, wie beim „Werkrausch“, wo sich ein Stuckhimmel über Druckpresse, Schöpfpapier und Radiernadeln spannt.

Mit einem Grafikbüro auf halber Strecke, scheint das Herz des Lidellplatzes neuerdings in die Kreuzstraße verrutscht. In der „Espresso stazione“ geht nicht nur guter Kaffee über den Tresen - bei Gerald Hammer werden Neuigkeiten umgeschlagen. Kinder („ein Lutscher, bitte“) gehören zur Kundschaft und gute Beziehungen zu den unternehmenden Nachbarn verstehen sich von selbst.

„Mehr Laufkundschaft könnten wir schon gebrauchen“, sagen einige der Geschäftsleute. Michael Langguth, der eigenen und Schmuck junger Designer verkauft, schaut vorsichtig optimistisch in die Zukunft. „Der Platz lebt langsam auf“, glaubt er. „Das Viertel bietet Chancen“, sagt auch Gerald Hammer. Viele Leute wohnten in der Gegend, die Wege sind kurz: nur ein Katzensprung zu Tram, ins Rathaus, die Kaiserstraße und das ECE. Bis zur Uni ist es auch nicht weit.

Leere Schaufenster und Schilder „zu vermieten“ verweisen nach wie vor auf die Schwierigkeiten, sich an und um den Lidellplatz zu halten. Seit Jahrzehnten bleibt eines konstant: Leerstand und Wechsel. Matthias Adler am anderen Ende des Ausläufers des Lidellplatzes, in der Adlerstraße, hat viele Pächter kommen und gehen sehen. Seit 1991 verkauft er Gitarren und andere Zupfinstrumente. Das Unternehmen, die „Zupfgeige“, ist mehr als 25 Jahre alt, erzählt er. Adler übernahm ein eingeführtes Fachgeschäft. „Wir haben eine tolle Nische“, erklärt er den langfristigen Erfolg. Er glaubt, nur spezialisierte Produkte können sich halten.

Gezielt steuern Kunden auch das Centrallabor an. Das Labor für Fotoarbeiten gehört zu den Veteranen am Lidellplatz. Seit 16 Jahren ist es am Platz. „Wir leben nicht von der Laufkundschaft“, sagt Mitinhaber Dirk Altenkirch. Zum Erfolg eines Geschäfts trage aber nicht allein das Produkt bei: „Es kommt auch darauf an, wie man den Laden führt.“

„Wir schrecken vor nichts zurück“, sagt Andrea Büscher von „schriftgestalten“ lachend. Ein beschrifteter Hundenapf, eine Drachenlampe, die den Weg in einen Pariser Künstlerhaushalt gefunden hat, ein Produkt für die Lotterie in Liberia... mit ihrer Partnerin Susanne Wiethüchter beklebt, beflockt und bedruckt Büscher so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann. Die gelernte Architektin hat ihre eigene Geschäftsidee entwickelt, als die Aufträge ausblieben. „Mir war an der Architektur der gestalterische Teil immer wichtig. Der kommt jetzt voll zum Zuge“, sagt Büscher. 18 Lagen Tapeten (so ungefähr) hat sie mit ihrer Partnerin von den Wänden gekratzt, bevor sie eröffnete. Nach gut eineinhalb Jahren zieht sie eine positive Bilanz: „Wir sind auf einem guten Weg.“

Im benachbarten „Werkrausch“ bieten Künstler, Kunsthandwerker und Designer Kurse und offene Werkstätten an. Kinder und Erwachsene zeichnen, drucken oder schwelgen in Farbe. „Ich hab’ mich in diesen Raum verliebt“, sagt Christine Lutz, die mit Marie Ruppel-Weiland das Programm organisiert. „Wir möchten die Lust am selber machen und der Produktion eigener schöner Dinge wecken und alte Techniken beleben“ sagt Lutz. Der Tipp in der Kreuzstraße 19 nachzufragen, kam von Gerald Hammer. „Der Kontakt der Leute untereinander ist hier wirklich schön,“ sagt Lutz.

Ob die Mischung rund um den Lidellplatz langfristig trägt´ Mit Cafés, Schmuck und dem seltsamen Mix aus 70er Jahre Möbeln, T-Shirts und Kleidung, die bei „Prima Pudel Produkte“ vom Prototyp auf persönliches Maß gebracht wird, mit „Werkrausch“ und „schriftgestaltung“ neben Centrallabor und Bauwerk, die einige Jahre auf dem Buckel haben´

Die Stadt dürfe schon ein wenig mithelfen, den Platz aufzuwerten, ist da und dort zu hören. Im selben Atemzug sprechen Anlieger allerdings auch von der Furcht, die Verwaltung saniere unter dem „Deckmantel“ Plätzekonzept, „das Areal zu Tode“. Ein Blick auf den nahen Kronenplatz zeige, wie das dann aussehe. Vielleicht gebe Karlsruhe aber einfach nicht her, was in Freiburg oder Heidelberg selbstverständlich ist. Eine „besondere Ladenkultur und eine Kundschaft, die dies schätzt.“ Am Lidellplatz, an dem Scheffel geboren wurde und Baselitz, Beuys oder Penck auf Stippvisite waren, liege es jedenfalls nicht. lütt


Tipp: Der „Werkrausch“ feiert am 25. September von 11 bis 17 Uhr sein einjähriges Bestehen mit einer Vernissage und Schnupperangeboten.

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