Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 10.2014
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Das Getue um das Essen

Bild - Das Getue um das Essen
Früher war Essen die selbstverständlichste Sache der Welt. Essen muss man nun mal. Aber wenn man schon etwas tun muss, dann sollte es man auf die Weise tun, die einem genehm ist, d.h in diesem Fall, essen, was einem schmeckt.
Die Geschmäcker sind verschieden, so lautet eine Redensart, die ebenso platt wie wahr ist. Schon damals gab es doch einen gewissen spürbaren qualitativen Unterschied zwischen dem Dosenfleisch von Aldi, das man auch gut und gerne als Hundefutter hätte deklarieren können, und dem von der kochkundigen Mama zubereiteten Sonntagsbraten. Und schon habe ich mich bei einigen Leuten in die Nesseln gesetzt. In beiden Fällen handelt es sich nämlich um Fleisch – und dafür müssen nun mal Tiere getötet und geschlachtet werden. Viele Leute lehnen das ab und ernähren sich bevorzugt vegetarisch. Das ist nachvollziehbar und mittlerweile auch, wie man so schön sagt, in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen, so dass Fragen im familiären Umfeld wie „Und du isst wirklich kein Fleisch?“ oder „Und was ist mit Schinken?“ nach und nach verstummen. Dafür konnte es einem als Fleischesser im Moment des Fleischessens passieren, dass einem vom vegetarischen Gegenüber mit bösen Blicken und gelegentlich auch Worten wie „Iih, totes Tier!“ oder “Tierkinderleiche!(beim Verzehr von Kalb, Hähnchen oder Lamm)die Verwerflichkeit seines Tuns signalisiert wurde.
Mittlerweile sind Vegetarier wesentlich kleinlauter geworden, denn in Gestalt des Veganers ist eine Spezies Mensch in Erscheinung getreten, die mit ihren konsequent durchgehaltenen Essgewohnheiten, der Vermeidung jeglichen tierischen Produkts, den gemeinen Vegetarier wie ein Weichei, wie einen Verräter an der gerechten Sache des Tierschutzes aussehen lässt, den arg- und ahnungslosen Fleischesser aber gar wie eine blutsaugende Zecke am Leib von Mutter Erde. Dem gutinformierten Zeitgenossen wird mittlerweile von allen Seiten in die Gulaschsuppe gespuckt: Wie hältst du es mit der Tierhaltung, mit der Co2 -Bilanz, mit der globalen Erwärmung??? Der Verzehr eines Steaks kommt einem Verbrechen an der Menschheit und ihren tierischen Schwestern und Brüdern gleich. Noch sind die Veggie-Talibane eine kleine Minderheit, die sich aber schon mächtig aufbläst.
Die ins Kraut schießende mediale Berichterstattung darüber, nebst entsprechender Literatur, fügt sich in einen schon einige Jahre andauernden Trend, das Essen zu thematisieren, zu problematisieren und gleichzeitig zu kultivieren. Mit der Slowfood-Bewegung hat es vor mehr als zwanzig Jahren angefangen, aus einem nicht ganz unverständlichen Impuls gegenüber dem massenhaft verbreiteten Fast-Food entwickelte sich ein europaweiter Trend, der vor allem gutbetuchte Bürger erfasste, die ihr gutes und in der Regel auch teures Essen nun auch noch mit guten Gewissen essen konnten, verbunden mit dem Gefühl über den gemeinen Allesesser und Discountkunden erhaben zu sein.
Es war so etwas wie die Gentrifizierung - der Edelsanierung - des Essens und des Trinkens, die mit dem Aufkommen des Bio-Labels noch verschärft wurde, verbunden mit solchen Ritualen wie der öffentlich zelebrierten Weinverkostung oder Phänomenen wie der Erlebnisgastronomie. Wobei ich mich wirklich frage, worin der Lustgewinn liegen soll, wenn man den Köchen beim Kochen zusehen kann oder wenn zu der Attraktion auf dem Teller noch andere optisch-akustische Attraktionen kommen.
Wenn ich esse, will ich essen, sonst nichts, außer trinken natürlich und dabei ist es mir ehrlich gesagt ganz recht, wenn mich nicht ständig ein livrierter Hansel fragt, ob denn auch alles recht sei. Ja,ja, es ist schon recht, wenn es denn kein Gammelfleisch ist.
Wahre Appetitzügler beim Essen sind Gespräche über die x-te Diät oder über die neuesten Lebensmittelskandale. Bin ich deshalb dafür, dass man alles wahllos in sich hineinstopft, dass Tiere in Massentierhaltung gequält und in der Landwirtschaft wahllos Fungizide und Pestizide versprüht werden? Nein, bin ich nicht! Schön und wünschenswert wäre es, die Bedürfnisse der Verbraucher (und dazu zählen eben auch Menschen, die sich kein Menü in einem Slowfood-Lokal leisten können, deren Budget keinen täglichen Einkauf im Bio-Laden hergibt) und die Anforderungen von Tier- und Umweltschutz unter einen Hut zu bringen. Aber, dass es noch nicht so weit ist, muss man nicht jeden Tag aufs Butter-bzw. Leberwurstbrot geschmiert bekommen. Und was die besonders kultivierten Leckerschmecker angeht, so sollen sie sich eine ernüchternde Einsicht vor Augen führen, die ich vor einiger Zeit aufgeschnappt habe, ohne mir den Urheber zu merken: „Wussten sie schon, dass selbst die teuersten und schmackhaftesten Lebensmittel sich nach einmaligen Gebrauch in eine übelriechende, braune Masse verwandeln?“