Nachdem in den vergangenen Jahren Musical und musikalisches Theater im Kammertheater eine feste Heimstatt fanden und man neben den klassischen Theaterproduktionen jüngst „Im Weißen Rössl“ auch das Spiel mit Puppen einbezog, begibt sich das Haus in der Herrenstraße nun mit „Little Big World“ erneut auf einen neuen Pfad, den des Varietés. „Durch die Möglichkeiten mit zwei Spielstätten suchen wir nach einem möglichst abwechslungsreichen Programm“, sagt Intendant Ingmar Otto, „das heißt, dass wir nicht parallel zwei Schauspiel- oder zwei Musical-Produktionen gegeneinander antreten lassen“. Über die mit der Zirkustradition verbundene Rebecca Siemoneit Barum, die in der Geierwally am Kammertheater mitwirkte, stieß Otto auf den in Hamburg lebenden Sebastiano Toma. Er ist ein Theatermann, der seit den späten 70er Jahren mit zirzensischen und artistischen Möglichkeiten experimentiert, die Entwicklungen des Cirque Nouveau begleitet, die legendären „Fliegenden Bauten“ mitprägte, mit den Tiger Lillies Varietés gestaltete und in Deutschland für ein neues theatralisches Varieté steht wie kaum ein zweiter. Mit „Little Big World“ hat Toma mit einer guten Handvoll Artisten, einer Miniaturbühne und Videoproduktionen und nicht zuletzt der großartigen Musik von Marc Chaet ein poetisches Traumtheater geschaffen, das ohne Worte auskommend verblüfft und verzaubert. Klappe Auf unterhielt sich im Vorfeld des mehrwöchigen Gastspiels in Karlsruhe mit Toma.
Klassischerweise fügen sich zu einem Variété-Programm die Nummern einzelner Artisten zu einem abwechslungsreichen Reigen. Wie gehen Sie an die Gestaltung eines Varietés?
Sebastiano Toma: Ich versuche jenseits des konventionellen Nummern-Varietés eine ganze Welt darzustellen, in der sich das eine in das andere fügt und einen Sinn ergibt, ohne dass man groß darüber nachdenken muss. Ich schaffe aber auch bewusst einen großen offenen Raum, in den sich das Publikum hinein schwelgen kann. Eine artistische Hochleistung nach der anderen zu zeigen interessiert mich herzlich wenig. Mir geht es darum, den Menschen und die Person hinter dem Kunststück zu zeigen. Wie ein Schauspieler mit Worten, Gestik und Mimik etwas ausdrückt, soll der Artist dies mit seinen Mitteln tun. Wir zeigen hier keine Turnkunst, und dennoch soll es natürlich unterhaltsam sein.
Was muss ein Artist mitbringen, um für Sie reizvoll zu sein?
Toma: Wenn ein Mensch auf die Bühne tritt, stellt man fest, wen man vor sich hat. Noch bevor er etwas zeigt, sieht man den Menschen, und das ist entscheidend. Selbstverständlich muss ein Artist eine bestimmte Leistung erbringen, sonst könnte ich ja einen Charakterdarsteller nehmen, aber diese muss zusammen mit dem Menschen hinter der Kunst zusammenpassen. Meist stimmt für mich diese Verbindung bei Artisten, die selbst auf der Suche sind. Denen es nicht ausreicht, ein Leben lang eine Nummer immer perfekter zu spielen, sondern die nach neuen Herausforderungen und Kontakten zu anderen Kunstformen suchen.
Wie entstand die Idee zu „Little Big World“?
Toma: Die Idee entstand aus dem Überdruss an all diesen großen Shows. Der Satz des italienischen Dichters Giacomo Leopardi "Das Kind findet im Nichts das Alles, der Erwachsene im Alles das Nichts“ wurde für mich zur Quelle der Inspiration und zum Startpunkt. Es ging mir darum, zu entschleunigen und den Fokus auf das Kleine und die unbeachteten Dinge zu setzen, das wir sonst eigentlich gar nicht wahrnehmen. Wie unter dem Mikroskop werden sie bei uns durch die Videoprojektion vergrößert. Alles ist live, was wir auf der Bühne machen, nichts ist vorproduziert.
Seit wann arbeiten Sie mit Marc Chaet und was schätzen Sie besonders an dieser Zusammenarbeit?
Toma: Er ist ein begnadeter Komponist, der die Ideen und Atmosphären, die man ihm beschreibt, sofort in Musik umsetzen kann. Er hat ein Gespür für die richtige Musik und schafft eine Musik aus einem Guss, ganz egal ob das Kompositionen für großes Orchester sind oder ob es sich um ein Solo etwa für ein Cello handelt. Er arbeitet sehr theatralisch und ist ein Mann der leisen und der großen Töne, das passt sehr gut.
War es für Sie eine schwere Entscheidung, in Karlsruhe mit dieser Produktion gleich für mehrere Wochen zu gastieren?
Toma: Nein überhaupt nicht, wir sind öfter für mehrere Wochen im selben Theater, etwa im Berliner Wintergarten. Spannend ist es natürlich für das Kammertheater selbst, sich auf eine neue Schiene zu begeben und zu sehen, wie das Karlsruher Publikum dies annimmt, ein Varieté nicht dinnertheatermäßig anzuschauen, sondern etwas zu erleben, das weit darüber hinausgeht.
> 5. März bis 6. April 2014, jeweils mittwochs bis samstags jeweils 19.30 Uhr, sonntags 18 Uhr, Kammertheater Karlsruhe,