Große Aufregung erzeugte noch in der Vorweihnachtszeit die Aktion des Karlsruher Apothekers Christian Giese. Angesichts seines absehbar auslaufenden Mietvertrages forderte er die Kundschaft seiner Karl-Apotheke auf dem Stephanplatz auf, für den Erhalt der Apotheke im einstöckigen Gebäude an der Ecke Karl-/Amalien-/Waldstraße zu unterschreiben.
Nun muss man wissen, dass der über drei Generationen in Familienbesitz geführte Betrieb durch stets freundliche Beratung, günstige Preise insbesondere von Naturkosmetik, üppigen Blumenschmuck, eine aufwendige, naturkundliche Schaufenstergestaltung und sicherlich nicht zuletzt durch das alleinstehende, architektonisch aus der Zeit gefallen scheinende Gebäude eine Art Fangemeinde besitzt, wie wohl nur wenige Geschäfte in der Karlsruher Innenstadt. In wenigen Wochen sammelte Giese mehrere Tausend Unterschriften für seine Sache, die aus mehreren Gründen bemerkenswert ist. Zum einen geht es wieder einmal um die Einschätzung eines Baudenkmals, bei der Eigentümerinteresse, in diesem Falle der Stadt Karlsruhe, und öffentliche Meinung in Konkurrenz geraten. Zum zweiten aber geht es um den Umgang der Stadtverwaltung mit einem der raren inhabergeführten Geschäftsbetriebe, denen durch das Karlsruher Baustellenfestival seit Jahren übel mitgespielt wird.
Nachdem Giese an die Öffentlichkeit getreten war, häuften sich die Leserbriefe, Kommentatoren solidarisierten sich mit dem bedrohten Opfer des „Turbokapitalismus“, und ein rühriger Unterstützerblog zur Rettung des Stephanplatzes wurde eingerichtet, in dem vor allem auch Kulturschaffende für den Erhalt des zum „Gropiusbau“ hochstilisierten Eckgebäudes eintraten.
„Mit Walter Gropius, dem avantgardistischen Architekten und Direktor des Bauhauses in Weimar und Dessau, hat das Gebäude nichts zu tun“, entgegnet der Architekturhistoriker Gerhard Kabierske vom Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) am KIT. Er hatte sich bereits vor 25 Jahren, damals noch als Stadtkonservator, mit dem um 1930 erbauten Flachbau beschäftigt. Dieser war im Rahmen eines Erneuerungsprogrammes der öffentlichen Bedürfnisanstalten vom Städtischen Hochbauamt unter dessen Leiter Friedrich Beichel geplant und erstellt worden, um die bis dahin oberirdische Notdurfteinrichtung aus dem Gesichtsfeld zu bringen und mit einer Kombination aus Tankstelle und Ladengeschäft zu kaschieren.
Nachdem die zuvor an der gegenüberliegenden Straßenecke residierende Karl-Apotheke 1942 ausgebombt worden war, übernahm die Apothekerfamilie das Ladengeschäft, dessen Mietvertrag zuletzt 1990 um 25 Jahre verlängert worden war. Dies nachdem die Stadt, die Eigentümerin des Stephanplatzes und auch des Gebäudes ist, damals intensiv darüber nachgedacht hatte, den Platz durch eine dreigeschossige Randbebauung umzugestalten - alleine es fehlte der passende Investor, der sich auf die Vorgaben der Stadt eingelassen hätte.
Das Mehrzweckgebäude unter Denkmalschutz zu stellen, wurde nicht in Betracht gezogen, auch wenn es auf alle Fälle ein Zeugnis des Neuen Bauens ist, dessen geschlossenstes Karlsruher Ensemble die Dammerstocksiedlung darstellt. Grund dafür war, dass es sich durch die Schließung der Tankstelle in den 70er Jahren und den damit verbundenen Teilabriss insbesondere des rasant auskragenden Vordachs längst nicht mehr im Ursprungszustand befand. So ist das Gebäude für Kabierske an sich auch heute nicht besonders schützenswert, zumal städtebaulich durchaus Gründe für eine Neufassung des Stephanplatzes an dieser Stelle sprächen. Dennoch würde auch er es lieber sehen, wenn der Platz mit der Apotheke im jetzigen Zustand erhalten würde, statt dass ein privater Investor den zahlreichen innerstädtischen Bausünden der vergangenen Jahre eine weitere hinzufügt. Es sei leider so, dass man zur Zeit von der Stadtverwaltung kaum das nötige Gespür erwarten könne, dass dort etwas entstehe, das dem Stadtbild angemessen wäre.
Der Karlsruher Baubürgermeister Michael Obert sieht keine Notwendigkeit zur Veränderung und Bebauung des Stephanplatzes. In seine Zuständigkeit fällt auch die Vermietung der Karl-Apotheke. Er versteht die Aufregung um einen möglichen Abriss des vielen liebgewordenen Gebäudes, weil damit aus der Stadt, in der sich gegenwärtig „wahnsinnig viel verändert“, wieder etwas Vertrautes verschwände. Eine Entwicklung in Richtung eines täglichen Viktualienmarktes mit einer attraktiveren Gastronomie wäre sein Wunsch für diesen zentralen Platz, der in seiner Geschichte unterschiedlichste Funktionen erfüllte und vor noch gar nicht so langer Zeit vor allem als Omnibus-Bahnhof genutzt wurde.
Irritiert zeigt sich der Bürgermeister indes vom Verhalten des Apothekers Giese. Praktisch habe man doch dessen Wunsch erfüllt, seinen Vertrag um mehr als drei Jahre zu verlängern. Der Karl-Apotheker und seine über 20 Mitarbeiter sehen dies freilich ganz anders. Mitte 2013 war Giese vom Amt für Hochbau und Gebäudewirtschaft darauf hingewiesen worden, dass sein Mietvertrag in anderthalb Jahren auslaufe und es zu baulichen Veränderungen auf dem Stephanplatz kommen werde. Auf verschiedenen Wegen hatte Giese, der einen Umzug seiner Apotheke aus wirtschaftlichen Gründen für nicht schulterbar ansieht, Einspruch erhoben. So kam es laut Giese zunächst zu einer Verlängerung um weitere fünf Jahre. Diese Zusage habe allerdings nur wenige Tage Bestand gehabt und sei von der Wirtschaftsdezernentin Margret Mergen persönlich in einem Schreiben widerrufen und auf Ende 2018 verkürzt worden. Für die Zeit danach möge er einen neuen Standort suchen, sei Giese empfohlen worden. Ein persönliches Gespräch mit der Bürgermeisterin wurde nicht gewährt, stattdessen hatte Giese über einen Journalisten erfahren, dass ein Investor, der sich auch im Umfeld des Stephanplatz durch Kaufofferten und Ablöseangebote interessiert zeigt, bei der Bürgermeisterin vorstellig geworden sei, und Mergen das städtische Areal derzeit als „finanziell untergenutzt“ ansehe.
Giese ist tief enttäuscht vom Verhalten der Stadtverwaltung ihm gegenüber, das wenig vereinbar sei mit der Obhutspflicht, die ein Vermieter jedem Mieter gegenüber walten lasse solle, zumal wenn er in dritter Generation eine wichtige öffentliche Funktion der Daseinsfürsorge erfülle. Dabei geht es Giese, der im kommenden Monat 70 Jahre alt wird, in erster Linie um den Fortbestand der Apotheke und das Wohl seiner Mitarbeiter. Der Verlust des Standorts bedeute die Aufgabe des Betriebs und die Entlassung der Mitarbeiter. „Weil wir kein Vertrauen in die Verwaltung haben können, haben wir uns mit unserer Aktion direkt an den Souverän, die Bürger, gewandt“, sagt Giese. „Karlsruhe gilt als eine Stadt ohne Diskurs“, sagt der streitbare Apotheker, „die überwältigende Reaktion auf unsere Aktion aber zeigt, dass es um die Karlsruher so schlecht nicht bestellt sein kann.“
Interessant ist sicherlich die Frage, inwieweit das offensichtlich wenig abgestimmte Vorgehen der Bürgermeisterin Mergen noch zum von Oberbürgermeister Mentrup ausgerufenen Politikstil der Transparenz passt. Bemerkenswert ist auf alle Fälle, dass ausgerechnet die von ihrer Parteibasis vor nicht allzu langer Zeit als Karlsruher OB-Kandidatin verschmähte Margret Mergen nun ungewollt ihrer CDU-Fraktion eine Steilvorlage für den bevorstehenden Kommunalwahlkampf lieferte. Die konservativen Stadträte waren nämlich mit die ersten, die sich mit Apotheker Giese trafen und lauthals Unterstützung für den Erhalt der Karl-Apotheke bekundeten. „Die rennen momentan aufgeregt jedem Leserbrief hinterher“, so der Kommentar des FDP-Bürgermeisters Michael Obert. jf
Dank an das Stadtarchiv Karlsruhe für das Foto - uelle Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oXIIIb 977)