Kinder, wie die Zeit vergeht, kaum hat man sich ein bisschen auf der Welt getummelt, eine Familie gegründet, ein Haus gebaut, ein Apfelbäumchen gepflanzt, schon sind 25 Jahre (in Worten: ein Vierteljahrhundert) vergangen. So lange ist es her, dass in dieser Zeitschrift die erste Mabuse-Glosse erschienen ist.
Unter dem Titel „Eine Zensur findet gelegentlich statt“ geißelte ich in der Ausgabe vom März 1988 kleine zensorische Eingriffe, die sich damals das öffentlich-rechtliche Fernsehen herausnahm. Angesichts der Art und Weise, wie nur wenig später mit der Ware Film umgesprungen wurde, war das ein Klacks.
Aber:„Wehret den Anfängen!“ Das könnte ein Motto sein, das quasi als Wasserzeichen vielen meinen Kolumnen unterlegt ist. Die Anfänge von Dr. Mabuse waren immerhin vielversprechend – so findet sich z.B. im Mabuse-Urtext die unverwüstliche Formulierung über die unverwüstliche Alice Schwarzer, „die noch besser als Bauknecht weiß, was Frauen wünschen.“ Die Herausgeber (damals waren es noch zwei) wehrten sich nicht direkt gegen eine Weiterführung der Kolumne. Auf den hinteren Seiten dieser Zeitschrift, die nach wie vor unbezahlbar (weil kostenlos) ist, wurde mir ein Plätzchen eingeräumt, das ich allmonatlich zu füllen versuchte.
Anfang der 90er-Jahre rückte Dr.Mabuse auf die letzte Seite, seit einigen Jahren wird die Seite geschmückt und veredelt von einer Illustration von Herbie Erb. Auf den letzten Drücker geschrieben wurde der Text fast immer. Die Aufforderung „Mach mal was zu...“ prallt in der Regel von mir ab.
Es muss mich schon etwas selber berühren, am besten negativ, damit ich in Fahrt komme. Wenn dann noch der leichte Stupser aus der Chefetage „Wo bleibt der Mabuse!?“ dazu kommt, beginnt mit Ach und Krach die Verfertigung der Gedanken beim Schreiben. Wenn ich gewusst hätte, auf was ich mich damit eingelassen habe, hätte ich es wohl bleiben lassen oder mich von Anfang an auf Themen von einer gewissen Haltbarkeit, am besten mit Ewigkeitswert, verlegt, die man alle Jahre wieder verbraten kann.
Aber Pustekuchen! Jeder Dr.Mabuse-Text ist ein Unikat, den gibt’s nur einmal, der kommt nicht wieder, das trifft eben auch auf einige Aufreger und Schreib-Anlässe zu, aber bei weitem nicht auf alle. Einige kommen immer wieder in modifizierter Form und mit veränderter Etikettierung, ich nenne nur mal die Beschleunigung unseres Lebens. Ich habe sie aufzuhalten versucht mit der Macht des Wortes. Der Erfolg ist offensichtlich – nicht eingetreten.
Da verdamme ich im Januar 1993 kurz und knackig das Autotelefon, während sich schon das Handy in unserer Gesellschaft breitmacht, das es ermöglicht in jeder Lebenslage, auch im Auto, zu telefonieren, vollgequatscht zu werden und andere vollzuquatschen und die Verbindung zum Job bis in die Freizeit und den Urlaub hinein zu verlängern.
Aber wer nicht auf den Rat von Dr. Mabuse hören will, das Ding, wenn man es denn schon mal hat, einfach mal auszuschalten, wird mit Burn Out bestraft. Selber schuld. Wer jeder Mode hinterherläuft, hat es verdient, sich eine Modekrankheit einzufangen.
Immer wieder habe ich die Denglisierung der deutschen Sprache gegeißelt – dabei ist sie, um mit Til Schweiger zu reden, mindestens so outdated wie der Tatort-Titelvorspann. Na ja noch klappt es einigermaßen mit der innerdeutschen Verständigung.
Beim Wettern gegen Zeitgeisterscheinungen, die nicht selten verbunden sind mit technischen Neuerungen, muss man schon aufpassen, dass man nicht zum ewiggestrigen Grantler wird. Dem Zug der Zeit kann sich auch der nicht entziehen, der nicht darin Platz nehmen will. Die ersten Mabuse-Kolumnen habe ich noch auf einer elektrischen Schreibmaschine geschrieben, dann legte ich mir notgedrungen, um beruflich nicht abgehängt zu werden, den ersten Computer zu, weitere Computer und Textverarbeitungssysteme folgten, irgendwann kam auch noch der Internetanschluss dazu.
Ja, ja, das ist schnell und bequem, aber ein leiser Verdacht beschleicht mich schon, dass die ständige Verfügbarkeit des Weltwissens im virtuellen Raum dazu führt, das in vielen Hirnstübchen gähnende Leere herrscht. Die Anzeichen dafür liefert ein Blick ins Internet zuhauf.
Was soll man von Zeitgenossen halten, die in Kochforen Aussagen absetzen wie „Mhmm, das hört sich aber lecker an, das werde ich mal probieren“ oder, wenn sie das Rezept dann tatsächlich nachgekocht haben, hinzufügen, wie toll es geschmeckt hat, wobei man allerdings den Spinat durch Karotten, die Créme Fraiche durch Milch, die Kartoffeln durch Nudeln usw ersetzt habe. Wer nicht begreift, was daran komisch ist, wird mit Dr.Mabuse wenig anfangen können.
Immer wieder frappierend finde ich den Kontrast zwischen der Vielfalt des Lebens und der Einfalt vieler Lebender, zwischen überbordender Mitteilungsfreude und kaum fassbarer Inhaltsleere. Die Kevinisierung der Republik, die Dr. Mabuse einst als Menetekel an die Wand gemalt hat, ist eben doch zumindest teilweise eingetreten.
Aber was wäre auch ein Kolumnist in einer perfekten Welt? Arbeitslos!