„Zwischengesellschaft - Tradition und Moderne im Widerspruch“
Standen bisher die Frage nach dem Aufeinanderprallen, dem Nebeneinander oder dem Miteinander der Kulturen im Zuge der Globalisierung im Blickpunkt, so behandeln die 17. Karlsruher Gespräche die Gegenwart als eine Zeit im Widerstreit von Tradition und Moderne. Mit prominenten Gästen wie Alice Schwarzer und Shinkai Karokhail, der einzigen weiblichen Abgeordneten im afghanischen Parlament, Wissenschaftlern und Journalisten unter anderem aus Großbritannien, den USA, Israel, Italien und Tunesien setzt die öffentliche Veranstaltung des Zentrums für Angewandte Kulturwissenschaft (ZAK) am KIT auf Vortrag und Diskussion, daneben gibt es aber auch kulturelle Beiträge zum Thema wie die Arte-Filmnacht am 23.2. im ZKM oder die szenische Lesung „Kinder der Revolution“ am 24. im Badischen Staatstheater. Für die Klappe Auf sprach Johannes Frisch mit der Initiatorin der Karlsruher Gespräche Caroline Robertson-von Trotha.
Wie äußern sich in unserer Gegenwart die von den Karlsruher Gesprächen aufgegriffenen Widersprüche zwischen Tradition und Moderne?
Robertson : Diese Widersprüche entstehen beispielsweise dadurch, dass traditioneller orientierte Gruppierungen durch Migration, in unsere moderne Gesellschaft kommen und mitten in Deutschland ihre überlieferte Alltagsroutine und Kultur weiterpflegen, aber auch allgemeine Globalisierungseinflüsse. Das ist keine Wertung, sondern eine Feststellung und wird sich laut demografischer Prognosen verstärken. Dabei entwickeln sich auch Gruppen, die ihre ganz eigenen Wege gehen, als extremes Beispiel bei uns etwa die Salafisten oder in Amerika die Evangelisten, die teilweise sehr radikal sind. An den Rändern der Gesellschaft entstehen große Reibungsflächen durch solche Formationen, die sich, wie wir bei den Neonazis gesehen haben, auch in die Mitte der Gesellschaft bewegen können.
Einer der prominenten Referenten der Veranstaltung, der britische Soziologe Roland Robertson ergänzt den Begriff der Globalisierung durch den der Glokalisierung. Können Sie diesen Begriff veranschaulichen?
Robertson :Die Glokalisierung beschreibt die Situation einer mobilen, globalisierten Welt, in der Menschen aus unterschiedlichsten Hintergründen vor Ort mit lokalen und internationalen Vernetzungen zusammenleben. Abgrenzungen und Zuordnungen werden dabei immer schwieriger. Die Gesellschaft reagiert hochdynamisch, auch wenn man oft nicht weiß, ist da etwas in Bewegung, ist es erstarrt, oder wird vieles noch „ausgehandelt“. Für diesen Zustand habe ich mir den Begriff „Zwischengesellschaft“ aus der Finanzwelt ausgeliehen. Ich meine damit diesen nichtlinearen Prozess der Veränderung, in dem wir uns befinden, ohne genau zu wissen, was das Ziel ist, was genau ausgehandelt wird oder gar nicht verhandelbar ist.
Inwieweit bereitet die Kluft zwischen Tradition und Moderne besonders Frauen eine spezielle Situation?
Robertson : Für Frauen bringt diese Situation häufig besondere Schwierigkeiten, da sie weniger Freiräume haben, weil sie in Gesellschaften und Umgebungen leben, die von männlichen Normen und Strukturen geprägt sind. Deshalb haben wir die Eröffnungsveranstaltung zu diesem Thema angesetzt, bei der uns Alice Schwarzer daran erinnern wird, was für ein schwieriger und langanhaltender Prozess es für Frauen hier war und ist, in die gleichberechtigte Rolle von Entscheiderinnen und Gestalterinnen zu kommen. Shinkai Karokhail schildert dagegen ihren Kampf für die Teilhabe von Frauen an Bildung. Sie lebt in einer sehr fragilen Position, da Afghanistan eben nicht nur Kabul ist und Karokhails Ziele genau die sind, die die Taliban zu verhindern suchen.
Welches Publikum kommt zu den Karlsruher Gsprächen?
Robertson : Ein sehr breites. Durch die Vielfalt des Angebots hat man die Wahl, und es ist das Ziel der Karlsruher Gespräche, möglichst in die Breite zu wirken. Obwohl wir sehr komplexe Themen mit hochkarätigen Wissenschaftlern und anderen Experten bearbeiten, veranstalten wir keine Fachtagung, sondern sind Teil der öffentlichen Wissenschaft.
Mit welchem Lockmittel schaffen Sie es immer wieder, so prominente Referenten wie zum Beispiel die 82-jährige ägyptische Schriftstellerin, Frauen- und Menschenrechtlerin Nawal El Saadawi in das winterliche Karlsruhe zu bringen?
Robertson : Durch interessante, interdisziplinäre Konzepte mit internationaler Ausrichtung. Auch wenn wir Absagen bekommen, betonen die Angefragten immer, dass sie gerne gekommen wären, weil sie bei uns auf Kollegen, aber auch Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft mit interessanten Impulsen und Projekten getroffen wären, die sie teilweise kennen, teilweise aber auch gerne kennengelernt hätten.
> 17. Karlsruher Gespräche, 22. bis 24.2., Karlsruhe, verschiedene Orte, das komplette Programm findet sich unter www.zak.kit.edu/3200.ph