Ein Klecks ist ein Klecks ist ein Klacks
Der Handel lanciert Namen, schafft Tauschwerte zu den Bildern, die er feilbietet, und eben um diese Tauschwerte zu fixieren, muß er gleichzeitig erzeugen, was des Tauschens wert ist. Ein Bild ist es nie: als Ware bleibt es Rohstoff; was zählt, ist die Meinung über das Bild, wenn möglich gar ein Konsensus, und sie machen den Wert aus. Hier nun verschieben sich die Akzente: ästhetische Werte werden zum Alibi für ökonomische und, neuerdings, ökonomische zum Alibi für ästhetische.
(Hans Platschek)
Beim Rorschach-Test, entwickelt vom Schweizer Psychologen Hermann Rorschach, werden dem Patienten eine Reihe von sinnfreien Klecksbildern vorgeführt, aus denen er dies und das herauslesen soll. Aus den Antworten zieht der Psychologe Schlüsse über den geistigen und seelischen Zustand des Betreffenden. Wer klug ist, bzw. klug erscheinen möchte, sollte möglichst detailliert beschreiben, was er sieht, genauer gesagt, was er zu sehen glaubt, noch genauer gesagt, was er glaubt, das er sehen soll, um eine möglichst günstige Prognose zu erhalten. Wer darauf beharrt, dass der Klecks nur ein Klecks und sonst gar nichts ist, begibt sich in die Gefahr als geistig stumpf und seelisch dumpf zu erscheinen. In diese Gefahr - zumindest in Anwesenheit von gewieften Kunstdeutern, die nicht nur die Kunstwerke, sondern auch die Klappentexte dazu kennen - begibt sich auch, wer in den Klecksen, die einem gelegentlich in Kunstgalerien und Ausstellungen als Kunstwerke vorgeführt werden, nichts als eben das sieht.
Der Kunstbanause ist das liebste Feindbild der selbst ernannten Kunstkenner, die sich nicht nur geistig, sondern auch noch moralisch und politisch erhaben fühlen können, gewissermaßen als Vertreter eines ästhetischen Antifaschismus, der nichts kostet, bei dem man nichts riskiert.
Wenn dem gebildeten kunstsinnigen Esel nichts mehr einfällt, dann fällt ihm immer noch Adolf Hitler und die Ausstellung Entartete Kunst ein. Hans Platschek schreibt über die Entwicklung, die dahin geführt hat: Die echten oder vermeintlichen Provokationen überkommenener Sehweisen haben nicht von ungefähr, zunächst als Nebenwirkung, später als Clou, zum ästhetischen Selbstverständnis der Oberschicht beigetragen.
So undurchsichtig dem Kleinbürger die Vorder- und Hintergründe der modernen Kunst auch waren, die soziale Kategorie ihrer Förderer blieb ihm nicht verborgen. In dem Maß wie seine Deklassierung zunahm, begegnete er der modernen Kunst mit einer Erbitterung, die verschwommene, aber unverkennbare Züge von Klassenhaß trug. Diesen Zustand zu erkennen war nicht weiter schwer, ihn in Demagogie umzumünzen ein naheliegendes Geschäft, das der Hitlerfaschismus von Anfang an besorgte. Der mäßig begabte Möchtegern-Kunstmaler Adolf Hitler, dessen Karriere ganz anders verlaufen wäre, wenn ihm nicht der Eintritt in die Wiener Kunstakademie verwehrt worden wäre, führte 1937 in der Münchener Ausstellung Kunstwerke des Expressionismus, des Impressionismus, des Dadaismus usw. als Degenerationserscheinungen der modernen Zivilisation vor.
Zwei Millionen Besucher hatte die Ausstellung Entartete Kunst, weitaus weniger Besucher (etwa ein Drittel) hatte die erste Große Deutsche Kunstausstellung, in der zu sehen war, was im Dritten Reich als Kunst zu gelten hatte, in der Regel blutleere Blut- und Boden-Malerei, die nicht einmal die überzeugte, die sie propagierten.
Aber was folgern wir aus diesen Ereignissen, ist damit nun ein für allemal die moderne Kunst sakrosankt erklärt, hat sie durch das Verdammungsurteil des Gröfaz den Ritterschlag erhalten und ist fortan unangreifbar, schon gar für den banausischen Kleinbürger ´´
Der Maler Hans Platschek, dessen Essayband Die Dummheit der Malerei jedem zu empfehlen ist, der sich mit Kunst und Kunstkritik auseinandersetzen will, hat diesen (Kurz)Schluß nicht gezogen. Auch nicht der Dichter und Zeichner Robert Gernhardt, dessen Essay-Band Der letzte Zeichner ich ebenfalls all denen ans Herz lege, die dem Mainstream der Meinungsmacher des Kunstbetriebs entkommen wollen. Wage dich deines Verstandes zu bedienen lautet die Maxime der Aufklärung und das gilt für Kleinbürger wie Großbürger.
Da kann die unausgesprochene und doch stets präsente Aufforderung Stellen Sie bitte das Denken ein unmöglich die Maxime individueller Kunstbetrachtung sein.
Natürlich kann man moderne Kunst ebenso wenig pauschal verdammen wie man sie pauschal gut heißen kann, dazu sind ihre Hervorbringungen viel zu verschieden. In über hundert Jahren ist auch vieles entstanden, was Wert und Bestand hat, haben Künstler gewirkt, deren künstlerische Meisterschaft sofort ins Auge springt, deren zeichnerisches und malerisches Können evident ist, von Lovis Corinth über George Grosz bis Herbie Erb. Über vieles läßt sich streiten.
Dass die Bildende Kunst nach dem Aufkommen von Fotografie und Film, die ihr in Sachen Wirklichkeitsabbildung den Rang abgelaufen haben, neue Wege gehen mußte, ist auch klar, dazu gehört auch das Ausprobieren von Irrwegen und Sackgassen. Aber wenn Irrungen und Wirrungen nicht mehr als solche kenntlich gemacht werden, wenn die Regelverletzung zur Regel wird, dann setzt die große Beliebigkeit ein, dann ist Jacke wie Hose und Kunstwerk wie Machwerk. Um das eine vom anderen zu unterscheiden, bleibt dem so genannten Laien nichts anderes übrig als seinen Augen und seinem Verstand zu trauen und weder vor jedem rostigen Gebilde, das den öffentlichen Raum verunziert, noch vor jeder Einfaltspinselei, die ihm in musealem Rahmen vorgesetzt wird, innerlich stramm zu stehen.
Zur Freiheit der Kunst gehört auch die Freiheit über Kunst oder über das, was sich als Kunst ausgibt, zu lästern. Moderne Kunstwerke sind keine Heiligenbilder, Vernissagen keine Weihestunden, Museen keine Kathedralen und Kunstkritiker keine Hohen Priester, die göttliche Wahrheiten verkünden. Das mußte mal gesagt werden.
Amen