Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 12.2010
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Elmar D. Konrad

Kreativwirtschaft - Wachstumsbranche oder Hype

Als Student des Wirtschaftsingenieurwesen und der angewandten Kulturwissenschaft an der Karlsruher Universität schrieb er für die Klappe Auf über klassische Musik. Nach Jahren an der Dortmunder Uni, wo er das Fach „Kulturarbeit und Kreativwirtschaft“ begründete und leitete, bekleidet Elmar D. Konrad seit kurzem eine fachbereichsübergreifende Professur an der FH Mainz. Am 8.12. eröffnet der Betriebswissenschaftler um 19 Uhr mit dem Thema „Unternehmerische Handlungskompetenz – Wie wird man erfolgreich selbständig in der Kultur- und Kreativwirtschaft´“ ein neue Vortragsreihe des Vereins Ausgeschlachtet im Kulturzentrum Tollhaus. Klappe auf unterhielt sich mit dem auch als wissenschaftlicher Autor und Herausgeber hervorgetretenen Experten.

Kreativität ist ein weites Feld. Die sogenannte Kreativ-Wirtschaft definiert sich in knapp einem Dutzend Branchen. Wo fängt Kreativwirtschaft an, und wo ist definitiv Schluss´

Konrad: Ich spreche lieber von der Kultur- und Kreativwirtschaft, weil die Übergänge fließend sind und es eigentlich keine wirklich trennscharfe Definition gibt. Zudem werden oft Begrifflichkeiten undifferenziert vermischt wie Kreative Klasse, Kreative Milieus, Kreative Ökonomie etc. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft die Bereiche Literatur- und Buchmarkt, Film- und Fernsehwirtschaft, Kunstmarkt, Designwirtschaft, Musikwirtschaft, Architektur, Theatermarkt, Werbung zusammenfasst, und zwar jeweils inklusive der vor- und nachgelagerten Branchen wie z.B. Druckereien oder Diskotheken.

Wie bestimmt sich das Verhältnis von Kunst und Kultur zur Kreativwirtschaft´

Konrad: Ich habe meist mit den Kreativen persönlich zu tun. Da ist es egal, ob ein Tischler sich mit Möbeldesign selbständig macht oder ein klassisch ausgebildeter Musiker ein Musiklabel gründet oder ein Sozialpädagoge einen Förderverein für ein Kindertheaterfestival aufbaut. Wenn man die Menschen zusammen bringt, stellt sich diese Frage nicht.

237.000 Unternehmen, über eine Million Erwerbstätige und 132 Milliarden Euro Umsatz zählt man in der Kreativ-Wirtschaft. Die Bundesregierung deklariert die Kreativ-Wirtschaft zur wichtigsten Wachstumsbranche schlechthin. Worin gründet diese Einschätzung´


Konrad: Sie gründet auf statistischen Fakten. Ob sie die wichtigste Wachstumsbranche hinsichtlich der Wertschöpfung ist, kann man auf Grund der Uneinheitlichkeit des Sektors nicht eindeutig beurteilen. Als Ganzes gesehen wächst sie jedoch überproportional im Vergleich zu anderen Branchen.

Städte schmücken sich gerne mit „Kreativparks“ und „Zentren für kulturnahes Gewerbe“. Welche Rahmenbedingungen muss eine Stadt bieten, um für die Ansiedelung einer solchen Klientel interessant zu sein´

Konrad: Also ich denke, zuerst müssen Städte versuchen, die vorhandenen Potenziale zu halten und vor Ort zu fördern. Solche Zentren sollten ein Nukleus kreativer Orte bzw. Milieus werden. Die „sogenannte“ Klientel braucht solche Quartiere und schafft sie sich mitunter meist auch irgendwie selbst. Ein Kreativzentrum für eine spezielle Branche, wie z.B. Games, Design, Musik etc. in einem Umfeld zu platzieren, wo z.B. kein billiger Wohnraum vorhanden ist, keine Hochschule mit entsprechenden Ausbildungsgängen vor Ort ist, keine vor- und nachgelagerten Strukturen für potentielle Kunden im Umland gegeben sind, macht einen Standort nicht unbedingt attraktiv, um sich von außen dort anzusiedeln.

Die Musikindustrie verzeichnet dramatische Umsatzeinbußen durch Internetpiraterie, der Buchmarkt registriert ein Sterben der unabhängigen, stationären Buchhandlungen, nach Jahren des Booms auf dem Kunstmarkt gehen Kunstmessen in Folge den Bach runter – ist die Kreativwirtschaft statt dem erhofften El Dorado nicht vielmehr ein Krisengebiet´

Konrad: Natürlich sind große Wirtschaftszweige der Kultur- und Kreativwirtschaft wie die Musikindustrie in der Krise. Aber die Mehrzahl der dort lebenden und überlebenden Menschen arbeitet als Freiberufler oder als Kleinstunternehmer. Gerade wenn die Großen Probleme haben, haben die Kleinen manchmal Chancen, sich flexibel und innovativ Nischen zu erarbeiten. Man könnte auch sagen, Kreative leben und arbeiten ständig am Limit einer existentiellen Krise, so dass sie mit Veränderungen besser umgehen können.

Was sind die spezifischen Probleme „kreativer Unternehmer“´

Konrad: Ich denke, diese haben zuerst die gleichen Probleme wie jeder andere Selbständige und Gründer auch, sei es ein Handwerker oder ein Techniker. Aber die sehr komplex vernetzte Struktur dieses Sektors, fehlende Eindeutigkeiten der Zuordnung und die eigene Wahrnehmung, sich eher als Künstler denn als Unternehmer zu begreifen, macht die Sache manchmal schwierig. Unternehmerische Handlungskompetenz umfasst neben der sicherlich meist vorhandenen Fachkompetenz auch die Methodenkompetenz. Ganz banal gesagt, viele wissen nicht, wie schreibe ich Rechnungen, wie gehe ich mit Finanzfragen um, wie akquiriere ich Kunden. Zudem braucht es gerade hier ein hohes Maß an Sozial-, Netzwerk- und Selbstkompetenz.

Im globalen Zusammenhang gedacht, ob Erdöl oder Erze - Deutschland muss fast alle Rohstoffe importieren. Ist es nach dem Motto „Von der Industrie- zur Kulturgesellschaft“ vorstellbar, dass Saudi Arabien Erdöl gegen Comedy von Cindy aus Marzahn oder China Eisenerze gegen Auftritte von Anne Sophie Mutter liefert´

Konrad: Das ist natürlich eher ein utopisches Szenario. Aber provozierend gesagt, nach Richard Florida, der von der „Creative Class“ spricht, zu der auch Ärzte und Intellektuelle gehören, haben wir ja schon solche Ansätze. Es gibt in Deutschland Kliniken, die nur von reichen Patienten aus den arabischen Ölstaaten leben. Im Ausland wird Deutschland durchaus als Kulturstaat angesehen, was sich auch durch Besucherzahlen von entsprechenden Festspielen zeigt. Aber ich denke, im Großen und Ganzen bleibt es eher eine lokale, regionale bis nationale Entwicklung. Auch wenn der Kultursektor mit schwindenden öffentlichen Mitteln zu kämpfen hat, glaube ich, dass die „Binnennachfrage“ nach kulturellen und kreativen Gütern und Dienstleistungen steigen wird.