Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 09.2009
Verschiedenes Herbies Cartoon

 

Woodstock - ein Holzweg

Bild - Woodstock  - ein Holzweg
Nein, ich war nicht in Woodstock, ich war noch zu jung und zu schulpflichtig und viel zu weit weg. Im Jahr 1969 war ich gerade mal ein paar Kilometer aus meinen Dorf herausgekommen, in dem der Autoverkehr noch überschaubar war und die Außenwelt hauptsächlich über Transistorradios und schwarzweiße Fernsehbilder wahrgenommen wurde, die Studentenrebellion war ein fernes Rumoren, noch ferner war der Vietnamkrieg. Die Mondlandung jedoch habe ich in voller Länge mitgekriegt, schwarzweiß und ziemlich verrauscht, aber schließlich bekam selbst die Zentrale in Houston keine wesentlich besseren Bilder. Besonders eindrucksvoll war es eigentlich nicht, doch das Gefühl einbezogen zu sein in ein weltumspannendes Schauspiel adelte die nächtliche Fernsehguckerei, die an den darauf folgenden Tagen mit Ringen unter den Augen und einem permanenten Schlafbedürfnis bezahlt wurde. Woodstock erreichte mich sehr viel später – durch den Film, durch die Platte, durch die Bilder, sie wurden ein Teil des Grundrauschens und der Bilderwelt der 70er und 80er-Jahre. Heute vierzig Jahre danach verfolge ich mit Aufmerksamkeit die mediale Wiederaufbereitung des Ereignisses, das damals vor allem ein organisatorisches Desaster und ein finanzielles Debakel war. Aber man stelle sich einmal vor, alles wäre in geordneten Bahnen verlaufen, dann würden ständig Dixie-Klos (oder wie immer die Dinger damals hießen) in der Landschaft rum stehen und den idyllischen, hippieesken Gesamteindruck versauen, stattdessen wurden die kleinen und großen Geschäfte einfach so in der freien Natur erledigt. Von einem unerträglichen Gestank, der über dem Gelände hing, berichten einige, die dabei und offenbar nicht völlig zugedröhnt waren. Diesen Aspekt vermitteln Bilder und Musikaufnahmen natürlich nicht, die überlieferten Artefakte sind gewissermaßen gereinigt von dem Schmutz und dem Gestank, der der Realität anhaftete. „We are stardust, we are golden“ dichtete Joni Mitchell aus sicherer Entfernung und verschwieg dabei, dass auch goldener Sternenstaub Mist und Müll produziert. Den Filmbildern und Fotografien sieht man natürlich auch nicht an, wer damals tatsächlich die Eintrittskarte bezahlt hat und wer einfach so auf das Gelände gekommen ist, nachdem die Veranstalter es aufgegeben haben, abzukassieren und den Besucherstrom irgendwie zu kanalisieren. Gerade das aber scheint mir die Crux der Hippiebewegung, dieser Frühform der Spaßgesellschaft, zu sein, austoben will man sich, unterhaltet will man werden, Musik will man hören, aber nicht dafür bezahlen. „Kommerziell“ war damals eine der meistgebrauchten Negativ-Etiketten. Wehe dem, der durch seine kreative Arbeit Geld verdienen wollte, wehe dem auch, der bei der Präsentation dieser kreativen Arbeit z.B. durch die Veranstaltung von Konzerten oder Festivals, zumindest auf seine Kosten kommen wollte!! Woodstock war nicht der Vorschein einer anderen besseren Gesellschaft. Die basiert nur zu einem Teil darauf, dass man sich ganz doll lieb hat und sich nicht ständig die Fresse poliert, richtig funktionieren kann sie nur, wenn man ökonomisches Interesse und Gemeinwohl unter einen Hut bringt. Im Falle Woodstock trampelte eine wohlmeinende Menschenherde die nachvollziehbaren ökonomischen Interessen der jungen Veranstalter, die auf einem Berg vom Schulden sitzen blieben, in den Schlamm. Die Bands, die Vorauskasse verlangten, hatten wohl begriffen, wohin der Hase läuft. Der rebellischen Attitüde auf der Bühne tat das keinen Abbruch. Nein die drei Tage des Friedens und der Musik taugen nicht als Vorbild für ein alltägliches Zusammenleben. Noch so gelungene Multikultifeste, bei denen Döner und Couscous nebst Folklore aus aller Welt gereicht wird, schaffen schließlich auch nicht die Probleme mangelnder Integration und verstärkter Ghetto-Bildung aus der Welt. Solche Feste sind ein Freiraum abseits der Alltagsprobleme, im besten Falle wirken sie positiv stimulierend in den Alltag hinein. Die Folgen von Woodstock waren einfach eine Reihe ähnlich gelagerter Festivals, nur besser organisiert und schlanker instrumentiert, und eine eindrucksvolle posthume Vermarktung inklusive Mythenbildung. Die bessere Welt lässt auf sich warten, aber den Soundtrack dazu gibt es schon mal. Das ist doch auch was.