Von Karlsruhe als einer Tanzhochburg zu sprechen, wäre bisher wohl noch kaum jemanden eingefallen. Zu sehr mangelte es an professionellen Strukturen, an einer Ausbildungsstätte, an Trainingsmöglichkeiten und einer freien Szene, die über den puren Freizeit-Amateurbereich hinausging. Doch mit dem TanzAreal, der für eine gewisse Sichtbarkeit sorgenden Initiative Tanz Karlsruhe und jungen aufstrebenden Compagnien scheint eine gewisse Entwicklung angestoßen. Die 2023er Ausgabe von Tanz Karlsruhe jedenfalls dokumentiert, dass sich hier kräftig was tut und sich die Beharrlichkeit der Tanzaktivistinnen und -aktivisten, allen voran des Festivalteams vom Kulturzentrum Tempel, sich langsam auszuzahlen scheint. So viel Tanz, der mit der Fächerstadt verbunden ist, gab es jedenfalls noch auf keiner Festivalausgabe. Und so viele Spielorte, nämlich acht, bisher auch noch nicht.
Den Auftakt des Festivals bestreitet die wohl bekannteste, allerdings in Berlin und international arbeitende Karlsruher Tanzaktivistin Sasha Waltz. Sie feiert mit ihrer Guests benannten Compagnie und der zentralen Choreographie "Kreatur" am 8. und 9. November im Kulturzentrum Tollhaus ihre 30-jährige Bühnenkarriere. Hatte sie im vergangenen Jahr mit "In C" eine farbenfrohe Exkursion in die Welt der Minimal Music und der Gesten und Bewegungspattern unternommen, so ist "Kreatur" aus dem Jahr 2017 ein existenzialistische Spiel mit den Bedingungen des Menschseins, dem Einzelsein und dem Kollektiv. Das Stück ist ein visuelles Theater und eine sich ständig wandelnde und bewegende Skulptur aus Menschen und raumgreifenden Kostümen.
Ganz und gar der regionalen Szene vorbehalten ist die Lange Nacht der kurzen Stücke am 10. und 11. im Tempel, ohne die Tanz Karlsruhe nicht auskommt. Die vom Schauspieler und Musiker Robert Besta moderierte Show zeigt mit 13 Kurzproduktionen ein buntes Kaleidoskop der Karlsruher Tanzszene, kurzweilig und abwechslungsreich. Der Karlsruher Szene entstammt auch die Truppe des jungen Choreografen und Theatermachers Ben Rentz, der in seiner neuesten Produktion "Transition - Circuit 1" in der Fleischmarkthalle auf dem Karlsruher Schlachthof dem labilen Verhältnis von Mensch und natürlicher Umgebung nachspürt. Das sehenswerte Stück mit einer großartigen Livemusik, das auf eine frontale Bühnensituation verzichtet, sich stattdessen inmitten des Publikums abspielt, hat es nun noch einmal für zwei Aufführungen am 15. und 16. zum Festival geschafft. Am 22. feiert im Tempel bei einer Double Bill mit der Lil´luke Dance Company aus Mannheim die Karlsruher Compagnie Kiesecker Hoess mit dem Stück "NPC" Premiere. Schön schließlich auch, dass sich das Badische Staatsballett seit einigen Jahren bei Tanz Karlsruhe einreiht und am 18. im Staatstheater mit das "Mädchen & der Nussknacker" Premiere feiert. Bleibt zu hoffen, dass sich diese Nähe auch nach dem bedauerlichen Weggang von Bridget Breiner zum Ende der Spielzeit fortsetzt.
Natürlich dürfen bei aller Lokaleuphorie bei Tanz Karlsruhe auch internationale Gäste nicht fehlen. So zeigt der US-amerikanische Tänzer und Starchoreograf William Forsythe am 17. und 18. im Lichthof des ZKM, mit dem er seit Jahren eine besondere Verbindung pflegt, mit einer Gruppe herausragender TänzerInnen eine speziell für das Festival und den Aufführungsort entwickelte Arbeit. Im Tempel zeigen am 20. die Preisträgerinnen und Preisträger des 27. internationalen Solo-Tanz-Theater-Festivals 2023 ihre Wettbewerbsbeiträge und am 25. ist um 11 und 14 Uhr die niederländische Compagnie "The 100hands" mit ihrem Familienstück"Out of the Box 2.0" im P8 zu Gast. Ein berührendes Duo von Mutter und Sohn verspricht zum Abschluss am 26. das Stück "M(other)" mit Raimonda Gudavi, iūtė und Elias Haun.
Filme in der Kinemathek sowie Workshops, zum Teil auch für Kinder) in TanzAreal, Staatstheater und ZKM komplettieren das satte Programm.
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Tanz Karlsruhe
08. bis 26. November 2023