Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 11.2015
Kunst, Ausstellungen Kunst

 

Peter Weibel

Türen öffnen, wo sie sonst keiner sieht

Die Feiern zum Karlsruher Stadtgeburtstag sind vorbei, die Globale im ZKM läuft weiter. Insgesamt 300 Tage bis zum 17. April 2016 dauert das Potpourri unterschiedlichster Ausstellungen, mit denen sich das Karlsruher ZKM in die Liga internationaler Kunstgroßereignisse einreihen will. Klappe Auf sprach mit Peter Weibel nach Ablauf des ersten Drittels.


Mit den Schlosslichtspielen und dem über dem Marktplatz schwebenden Haus hat das ZKM die Publikumslieblinge und Sympathieträger zum Karlsruher Stadtgeburtstag beigesteuert. Hat Sie das überrascht?

Peter Weibel: Der Stadtgeburtstag bot uns die beste Gelegenheit, uns bei den Bürgern und der Politik zu bedanken, die das ZKM in den 80er Jahren auf den Weg gebracht haben. Ich wollte etwas machen, das für das ZKM typisch ist und durch das sich die Bürger mit uns identifizieren können. Mir war klar, dass wir aus dem ZKM raus mitten in die Stadt gehen mussten. Ich wusste, das es nicht leicht würde, aber ich war mir sicher, dass das gelingen müsse. Dass es so gut funktionierte und sich immer wieder 10.000 Menschen vor dem Schloss versammelten, hat mich unglaublich bewegt und alle Erwartungen übertroffen.

Die Globale, das eigentliche ZKM-Großprojekt des Jahres, ist ja mit den Großinstallationen der Wolke und des Ikeda-Projekts gestartet, die man auf unterschiedliche Weise jeweils sehr unmittelbar und sinnlich erfahren konnte. Nun folgen Ausstellungen, die man sich als Besucher richtiggehend erarbeiten muss. Welche Empfehlung geben Sie Besuchern, die sich angesichts der kleinteiligen Fülle leicht überfordert sehen?

Weibel: Wenn man eine Ausstellung macht, kann man in zwei Extreme gehen. Entweder ein Raum, eine Idee, ein Künstler - so sind wir gestartet. Oder eben die Biennale-Technik mit vielen Künstlern und vielen Ideen, die wir mit den gegenwärtigen Ausstellungen verfolgen. Dabei ist jedem klar, dass man maximal die Hälfte sehen kann. Das ist wie in einer guten Buchhandlung, wir wählen das Beste aus, und jeder hat die Freiheit, sich das anzuschauen, was ihn am meisten anspricht. Wir haben ein sehr diversifiziertes Publikum mit sehr unterschiedlichen Interessen. Jeder sollte sich ohne schlechtes Gewissen aus der Überfülle das Passende heraussuchen. Man muss nicht jedes einzelne Kunstwerk anschauen, um eine Ausstellung verstehen zu können.

Besucherzahlen zumindest können es ja bisher vermutlich nicht mit denen einer documenta oder einer venezianischen Biennale aufnehmen?

Weibel: Natürlich können wir nicht aus dem Stand mit einer seit den 50er Jahren eingeführten documenta mithalten, die in 100 Tagen 600.000 Menschen anzieht. Wir hatten in den ersten 100 Tagen mehr als 100.000 Besucher im Haus, da können wir uns durchaus mit der Biennale in Venedig messen, wohin es die Menschen auch der Stadt wegen zieht. Karlsruhe verfügt hingegen über keinerlei Touristenattraktionen. Rechnen wir die Besucher der Schlosslichtspiele hinzu, kommen wir am Ende vielleicht sogar auf 800.000 Besucher. Alle großen deutschen Feuilletons hatten uns auf Seite eins und die Medienresonanz reichte bis nach Singapur. Zufrieden sein können wir auf alle Fälle.

Die Globale beschreibt in einer Vielzahl von Einzelausstellungen unsere Gegenwart und öffnet Zukunftsperspektiven. In der Ausstellung zur Infosphäre sind die Besucher mit einer Welt konfrontiert, in der man vor lauter Kabeln den Menschen nicht mehr sieht. Mit Global Control widmet sich das ZKM der weltweiten Überwachung und Zensur. Während vor 30 Jahren die Menschen noch penibel auf den Schutz ihrer Daten bedacht waren, herrscht heute eine große Sorglosigkeit in der Preisgabe persönlicher Informationen. Führen diese Einstellung verbunden mit den technischen Möglichkeiten zwangsläufig in eine sich stark verändernde Welt? Wie bleibt dabei Freiheit überhaupt denkbar?

Weibel: Ich habe bereits 2001 zur unserer ersten Ausstellung zum Thema Überwachung gesagt, dass sich Foucaults Befürchtung vor einem panoptischen Überwachungssystem dahin verkehrt hat, dass sich die Menschen gerade zeigen wollen. Dazu hat das Fernsehen beigetragen, das mit der absoluten Vulgarisierung jegliche Niveaus unterboten hat. Wenn aber Voyeurismus und Exhibitionismus extrem nach vorne gebracht werden, verändert dies die Beziehungen der Menschen untereinander. Wohin das führt kann man sich heute nur blass ausmalen. Diese Entwicklung erzeugt aber auch heftige Gegenreaktionen wie wir sie in der islamischen Welt beobachten. Für mich sind beide Seiten furchterregend. Während unsere Freiheit im Zugriff auf die Welt durch den technologischen Fortschritt immer mehr steigt, wird die individuelle Freiheit immer mehr zur Illusion der Systemkonformen verkommen.

Die nächste große, umfassende Ausstellung widmet sich der Exo-Evolution. Mit diesem Begriff beschreibt man nicht nur die Entwicklung des Menschen, der sich mit Hilfe von Apparaten die Welt immer mehr untertan macht, sondern der diese in zunehmendem Maße auch nur noch mit Hilfe von Apparaten und Apps überhaupt wahrnehmen und erfassen kann. Welche Rolle und Aufgabe kommt Ihrer Meinung nach da der Kunst zu, die bisher durch Subjektivität Weltbilder verändern konnte?

Weibel: Die Kunst hatte sich spätestens mit der sich auf Punkt, Linie und Farbe konzentrierenden abstrakten Malerei aus der Konkurrenz der Welterklärungsmodelle zurückgezogen. Heute gibt es dagegen wieder eine Vielzahl von Künstlern, die wie in der Renaissance ähnlich den Wissenschaftlern in ihren Laboren arbeiten und sich lösungsgetrieben mit den Problemen der Menschheit auseinandersetzen. Anders als die von verschiedensten Abhängigkeiten geprägten Wissenschaftler können sie ihre Kreativität frei schweifen lassen und Türen öffnen, wo sie sonst keiner sieht. Für den Kunstmarkt sind die Arbeiten dieser Künstler freilich kaum verwertbar, weshalb ich es als große Aufgabe der Museen ansehe, sich vor allem diesen Künstlern zu widmen.