Buchbesprechung: Richard Flanagan > Die unbekannte Terroristin

Wie schnell es geschehen kann, dass aus einem völlig harmlosen Menschen von einem Tag auf den anderen die am meisten gehasste und gefürchtetste Person des Landes wird, ist zwar kein neues Thema, aber heute wieder sehr aktuell. Gina Davis, von allen, meist auch vom Autor nur Die Puppe genannt, arbeitet als Tänzerin in einem Nachtclub und steht kurz davor, endlich genug Geld angespart zu haben, dass sie eine richtige Ausbildung und damit endlich ein ganz normales Leben beginnen kann. Eines Tages lernt sie einen Mann kennen, in den sie sich sofort verliebt. Nach der ersten Nacht ist der Mann verschwunden. Als sie sein Haus verlässt, sieht sie gerade noch, wie Polizisten das Gebäude stürmen. Im Fußballstadion von Sidney wurden drei Bomben gefunden, gelegt offensichtlich von dem Mann, mit dem sie in der Öffentlichkeit fotografiert wurde. Für den gerade von seinem Chef degradierten Fernsehjournalist Richard Cody, bisher ein erfolgsgewohnter Star, nun auf einen schlechteren Sendeplatz verdammt, bietet sich nun die Chance seines Lebens, denn er erkennt bei dieser Aufnahme die Frau, die ihn kurz zuvor abgewiesen hat. Er weiß, dass nicht Fakten sondern vor allem gnadenlose Manipulationen der Weg zu journalistischem Erfolg sind und nutzt dies sofort aus. Innerhalb von Stunden wird aus der Puppe "die unbekannte Terroristin", von der jeder erwartet, dass sie in Australien einen furchtbaren Anschlag vorbereitet. Für Gina und ihr Umfeld beginnt ein immer aussichtsloserer Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Eine weitere wichtige Rolle spielt ein Polizist, dessen Ehe zerbrochen ist, der nun aber endlich mal wieder etwas im Leben richtig machen will. Flanagan beschreibt anfangs sehr ausführlich Leben und Denkweise der Hauptfiguren, bevor er mit der richtig spannenden Handlung beginnt. Der Autor scheint eine äußerst pessimistische Weltsicht zu haben, denn nicht nur Medien und Terror, auch alle anderen Bereiche des Lebens werden von ihm sehr kritisch beleuchtet. Wer mit den ersten 70 Seiten durch ist, will das Buch danach nicht mehr aus der Hand legen. Der Sog der Verstrickungen reißt Gina immer tiefer in den Abgrund, von einer anfangs noch naiven Hoffnung, alles würde sich von selbst klären, wenn sie sich der Polizei stellt, bis zum schon zu Beginn des Buches angekündigten tödlichen Ende. Nicht nur die Medien, auch Politik und Polizei sind in dieser Geschichte mehr an einer dramatischen Show interessiert als an der Wahrheit. Flanagan schildert die Motive und Betrachtungsweisen aller Beteiligter sehr überzeugend. Genau so könnte es heute schon geschehen. - gk > Piper Verlag, 336 Seiten, 22 Euro oder als E-Book 19,99 Euro