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Archiv: 09.2016
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Warum ich trotzdem Sport gucke

Bild - Warum ich trotzdem Sport gucke
Ja, ich weiß, der Sport der uns im Fernsehen präsentiert wird, also der sogenannte Spitzensport ist nicht nur von Dopingmitteln verseucht (Komisch, dass noch keiner darauf gekommen ist von Spritzensport zu sprechen.). Wer die Berichterstattung im Vorfeld der gerade zu Ende gegangenen Olympischen Spiele auch nur so nebenbei verfolgt hat, der kann nicht so tun, als wüsste er nicht, dass sportliche Großereignisse in aller Regel ein schlechtes Geschäft für das veranstaltende Land sind, dass die vollmundigen Versprechungen im Vorfeld, was die positiven Nebeneffekte für die einheimische Bevölkerung angeht, sich in Schall und Rauch auflösen, wenn die Spiele vorbei sind. Südafrika hat die Ausrichtung der ersten Fußball-WM auf dem schwarzen Kontinent kein Stück weitergebracht, weder in ökonomischer noch sozialer Hinsicht. Jetzt stehen die Stadien da, die extra für die WM gebaut wurden, und rotten vor sich hin, ab und an verlieren sich darin ein paar tausend Fußballfans beim Spiel eines Amateurvereins. Die Slumbewohner, die für den Stadionumbau umgesiedelt wurden, warten immer noch auf den versprochenen Wasseranschluss. Den zwangsumgesiedelten Bewohnern der Favelas in Rio, so kann man vermuten, wird es nicht viel besser gehen. Weiße Elefanten heißen die Riesenbauten, die nach Sportgroßereignissen sinn- und zwecklos in der Gegend herumstehen, weil es keine weitere Verwendung für sie gibt. Nach der Fussball-WM in Qatar werden in der Wüste ein paar Fußballstadien stehen, unübersehbare Zeugnisse für die Hybris und Weltabgehobenheit der alten, durch und durch korrupten Fifa-Clique. Ob ich das noch miterlebe, liegt nicht in meiner Hand, ob ich es miterleben will, kann ich jetzt noch nicht sagen. Während ich dies schreibe, habe ich immer ein Auge auf die gerade noch laufende Olympia-Berichterstattung. Ich habe Olympiasiege von russischen Athleten gesehen, die doch eigentlich wegen Staatsdoping vollständig ausgeschlossen werden sollten, Fabelweltrekorde von spindeldürren afrikanischen Läuferinnen und Läufern, die Schlussvorstellungen des Rekord-Olympiasiegers Phelps, dessen außerirdische Leistungen komischerweise kaum jemanden auf dumme Gedanken gebracht haben. Indizien dafür, dass es im internationalen Sport nicht immer mit rechten Dingen zugeht. Und die nationale Sportbegeisterung, die ja vielen ohnehin suspekt ist, nimmt geradezu absurde Züge an, wenn bestimmte Nationen ohne Sporttradition sich ihre Medaillenanwärter aus aller Welt zusammenkaufen, Söldner im Zeichen einer kaum noch fassbaren olympischen Idee. Ja, ich weiß und ich seh das alles und gucke trotzdem zu wie viele Millionen andere auch. Man mag es Gewohnheit oder Sentimentalität nennen. Seit ein Fernseher im Haus ist, sitze ich wie gebannt davor, wenn eine WM oder eine EM über den Bildschirm flimmert. Aufgewachsen auf dem Dorf vermittelten mir diesen Sportübertragungen einen Hauch von großer, weiter Welt, eine Zusammengehörigkeit mit einem größeren Ganzen als es mein sehr überschaubarer Heimatort darstellte. Mit einem magischen Band war ich mit all denen verbunden, die an anderen Orten, in Städten wie in Kuhdörfern mit den deutschen Sportlern mitfieberten, damals mit den bundesdeutschen. Sportlern wohlgemerkt, deren Medaillenbilanz recht übersichtlich war. Wenigstens in dieser Hinsicht hatte die DDR mehr zu bieten. Gesamtdeutsche Glücksgefühle stellten sich erst nach der sogenannten Wiedervereinigung ein und sie sind mittlerweile wieder rarer geworden. Wer öfter zu den Siegern gehören will, der sollte sich vielleicht, zumindest innerlich, eine zweite Staatsbürgerschaft zulegen. Als deutscher Sportgucker muss man es ziemlich oft hinnehmen, dass sich „unsere“ Athleten sang- und klanglos aus den Wettbewerben verabschieden, flankiert von verständnisinnigen Sportreportern. - Aber Hauptsache „Spaß gehabt“ oder „Was dazugelernt“.
„In der Kunst genießt sich der Mensch als Vollkommenheit,“ hat Friedrich Nietzsche einmal gesagt. Die Kunst hat in dieser Hinsicht schon lange ausgedient, im Sport sehen wir Menschen, die höher und weiter springen, schneller laufen und weiter werfen können als wir selbst, die ihren Körper auf Höchstleistung getrimmt haben, die eine bestimmte Fertigkeit bis zur Perfektion getrieben haben. Und wir, die Sportgucker, sitzen mit unseren ganz und gar unperfekten Körpern auf der Couch und sehen staunend zu, was der Mensch alles mit seiner Physis anstellen kann, wenn er nur will. Ich will und kann das nicht - Mittlerweile schaffe ich es nicht einmal meinen Körper zu überreden, um 3 Uhr aufzustehen, um live dabei zu sein, wenn Usain Bolt eine weitere Goldmedaille ersprintet. Meine Sportbegeisterung hat nachgelassen, glücklich bin ich darüber nicht.