Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 07.2011
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Undemokratisch - Selbstgerecht´!

Web-Experte Thomas Dreier

Karlsruher Rechtswissenschaftler über die Netzgesellschaft


Gesichtserkennung bei Facebook, “Locationgate” beim Apple iPhone, Verhaftungen bei Kino.to, Millionen geklaute Kundendaten bei Sony, Ende der Privatheit und Cyber-Mobbing, Vervielfältigungsexplosion und drohender Zusammenbruch der Musikindustrie, Kriegsführung auf virtueller Ebene - die digitale Gesellschaft steckt voller Probleme und Herausforderungen, nicht zuletzt rechtlicher Art. Klappe Auf unterhielt sich mit Thomas Dreier, dem Leiter des Instituts für Informations- und Wirtschaftsrecht am Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft des Karlsruher Instituts für Technologie, der sich insbesondere mit Urheberrecht und Rechtsfragen der Informationsgesellschaft beschäftigt und als Experte auch beim Deutschen Bundestag gefragt ist.

Die einen sagen, das Internet benötige keine neuen Gesetze, man muss nur die anwenden, die in der Zivilgesellschaft gelten. Andere behaupten, nationale Gesetze seien im Internet überhaupt nicht anwendbar, da der Ort, wo strafbare Handlungen begangen werden, sich nicht an Ländergrenzen binden lasse. Ist das weltweite Netz ein rechtsfreier Raum oder ist Rechtssicherheit im Internet doch denkbar´

Dreier: Das Internet ist Teil unserer Gesellschaft und damit natürlich kein rechtsfreier Raum. Doch ist das Internet ein internationaler Raum, was das Problem der Rechtsdurchsetzung aufwirft. Daneben haben wir es mit einer zuvor nicht gekannten Massenhaftigkeit zu tun, was ebenso mit der Rechtsdurchsetzung kollidiert, aber auch auf Probleme des geltenden Rechts verweist, das sich doch weitgehend auf individuelle Zwei-Personen-Beziehungen konzentriert. Mit den auf analoge Sachverhalte abgestimmten Gesetzesgrundlagen sind wir bislang für die Netzgesellschaft noch nicht optimal gerüstet.

Die persönliche Verfolgung in Form von Cyber-Mobbing hat zum Beispiel der in Karlsruhe geborene Jazzmusiker Bruno Leicht bitter erfahren. Aus amerikanischen Quellen wurde der Deutsche fortgesetzt derartig verleumdet, dass er als Musikpädagoge seiner wirtschaftlichen Basis beraubt wurde. Gibt es keinen Schutz gegen solche Übergriffe´

Dreier: In so einem Fall ist es aus verschiedenen Gründen sehr schwierig, sich zu Wehr zu setzen. Zum einen kann es sein, dass was bei uns als Verleumdung gilt, in Amerika durch das Recht auf „free speech“ abgedeckt ist. Das heißt, wir haben es mit unterschiedlichen Wertmaßstäben zu tun. Wir haben zwar eine weltweite Plattform, aber keine gleichen Maßstäbe. Dazu kommt die Schwierigkeit ein hier erlangtes Urteil im Ausland zu vollstrecken. Das kann man auch von einer anderen Seite betrachten. Stellen Sie sich vor, Sie laden einen Film auf YouTube, in dem Sie mit Alkohol in die Kamera prosten und sagen „Allah ist groߓ. In Saudi-Arabien würden Sie wegen Alkoholverstoßes und Gotteslästerung verurteilt werden, doch glücklicherweise kann man Sie hier dafür nicht belangen.

Ebenso wie man in der digitalen Welt alles kopieren kann, kann man auch alles verfälschen. Welche Chancen hat da überhaupt eine digitale Beweisführung´

Dreier: Hier stehen die allerdings nicht weit verbreitete digitale Signatur und neuerdings die DE-Mail zur Verfügung. Im Übrigen ist immer noch entscheidend, dass die Gerichte die Glaubwürdigkeit als Kriterium heranziehen. Das heißt, stehen Aussage gegen Aussage, kommt es vor allem darauf an, dass die jeweilige Partei die Richter von der Zuverlässigkeit ihrer Sicht überzeugt. Damit kommen wir in der Praxis recht weit.

Mit Gruppierungen wie den Anonymous finden sich im Internet Aktivisten, die sich nicht damit begnügen, aufzuklären, sondern das, was sie als Recht empfinden, selbst durchzusetzen versuchen. Fördert das Internet die Bereitschaft zur Selbstjustiz´

Dreier: In gewisser Weise schon, weil es unterstützt, eine eigene Meinung öffentlich zu vertreten. Und weil einige wenige das Gesamtsystem in einem früher kaum vorstellbaren Ausmaß stören können. Allerdings bedarf dies einiger Kenntnisse. Dabei geraten wir in die Debatte darüber, ob und welchem Umfang Gewaltanwendung als Mittel der freien Meinungsäußerung erlaubt sei. Unsere Verfassung ist da eindeutig: Widerstand gegen die Staatsgewalt ist nur dann gedeckt, wenn der Staat selbst den Boden des Rechts hinter sich lässt. Gewalt wegen wirtschaftlicher Ungerechtigkeiten hingegen ist strafbar, auch wenn es im Einzelfall moralisch gerechtfertigt erscheinen mag.

Ist das Internet Ihrer Ansicht nach ein Medium der direkten Demokratie oder fördert es eher eine Technologiediktatur´

Dreier: Es ist zweifellos ein Hilfsmittel für eine direktere Demokratie, aber wir haben noch kein richtiges Empfinden dafür, wie eine solche funktioniert. Es scheint auch sehr fraglich, ob dies dann tatsächlich eine bessere Demokratieform wird, denn letztlich geht es nicht mehr um Mehrheiten, sondern um die Aufmerksamkeit, die eine möglicherweise auch recht kleine Gruppe erlangt. Die ganze Partizipationsentwicklung ist eine der spannendsten Fragen der Zukunft.

Wie kommt es, dass eine Gesellschaft, die vor einer Generation noch penibelst auf Persönlichkeitsrechte und den Schutz privater Daten pochte, heute jegliche Scheu verloren hat, sich öffentlich bis in Details zu entblättern´ Was für eine Bedeutung hat dabei noch der Begriff der Privatsphäre´

Dreier: Ich glaube nicht, dass da ein vollständiger Wandel stattgefunden hat, in Deutschland hängen wir die Privatsphäre immer noch relativ hoch, denken Sie an den Widerstand gegen Google Street View und die Tätigkeit der Datenschutzbeauftragten. Die jüngere Generation hat da jedoch ein etwas anderes Empfinden, was sicherlich damit zusammenhängt, dass sie sich - anders als wir - nicht mehr vorstellen kann, dass unser Staat den Menschen etwas Böses will. Andererseits erleben jüngere Menschen soziale Portale wie Facebook gar nicht so sehr als Öffentlichkeit, sondern als technologisch unterfütterten Privatraum. Die heutige Mediengesellschaft - das ist ein weiterer Aspekt dieser Frage - gewährt Menschen öffentliche Aufmerksamkeit, die früher keine Chance dazu gehabt hätte. Wie früher nur der Boxsport für die Gruppe farbiger Jugendlicher aus amerikanischen Armenvierteln versprechen heutige Fernsehshows wie „Deutschland sucht...“ oder „Big Brother“ die Möglichkeit zum schnellen sozialen Aufstieg. Dafür sind Menschen bereit, Dinge zu tun, die „Bildungsbürgern“ als Opfer jeder Privatheit erscheinen. Dabei verkennen diese Menschen vielfach, dass es gar nicht um die Wertschätzung ihres eigenen Talents oder ihrer Person geht, sondern nur um die Show selbst.

Gerade hat Facebook einen Dienst freigeschaltet, der Bilder über eine Gesichtserkennungsfunktion automatisch mit einem Namen verknüpfen will. Das Internet wird demnächst neu durchnummeriert. Mit der festen IP-Adresse für jedes Gerät, ist nicht nur der Internetnutzer vollends zum Gläsernen Bürger geworden. Soziale Netzwerke sorgen durch neue komplexe Strukturen dafür, dass nichts mehr verloren oder vergessen wird. Das Internet ist ein Netz voller Spuren, die wir tagtäglich darin hinterlassen. Wer sind die Nutznießer dieser Datensammelflut´

Dreier: Das sind in erster Linie die Betreiber der großen automatisierten Systeme, denn sie haben die Hand auf diesen Daten. Umso differenzierter statistische Daten in diesem Bereich sind, umso höher ist ihr wirtschaftlicher Wert. Der „Gläserne Bürger“ indes impliziert schon eine negative Perspektive. Demgegenüber gibt es Futurologen, die es in Szenarien als nützlichen Fortschritt ansehen, wenn Sie nur noch die Werbung erhalten, die Sie wirklich interessiert. Es ist die Frage, ob Sie sich dabei beleuchtet fühlen, oder ob sie diesen „Service“ als angenehm empfinden.

Auch wenn mittlerweile täglich Millionen Einkäufe über das Internet abgewickelt werden, haftet dem Internet so etwas wie eine „Gratis“-Philosophie an. Diese betrifft insbesondere die Verfügbarkeit geistiger Werke wie Musik, Bild und Text. Durch technische Mittel ist ein Schutz des Urheberrechts kaum zu gewährleisten. Sollte man daher nicht lieber gleich alle Beschränkungen aufgeben und sich das System selbst regulieren lassen oder muss/kann das Internet stärker kontrolliert werden´

Dreier: Es hatte lange den Anschein, alle Angebote im Internet wären kostenlos. Aber es war natürlich immer auch klar, dass irgendwer die Kosten für Technik und Inhalte dafür aufbringen muss. Ich würde nicht sagen, dass der technische Schutz von Inhalten überhaupt nicht funktioniert. Auf die großen Fachdatenbanken etwa können Sie nur zugreifen, wenn Sie sich registrieren und bezahlen. Wer im Netz eine Leistung anbietet, kann entscheiden, ob er sie freigibt oder verkauft. Manche Zeitungen haben Gratisportale, um ihren Traffic zu erhöhen, und vor allem die großen Anbieter wie Google fahren trotz immenser Kosten mit „Gratis“-Politik Riesengewinne ein, weil sie sich durch Werbung finanzieren. Ein Problem ist allerdings, dass ein Datensatz, der einmal verkauft worden ist, vom Käufer unkontrolliert weiterverbreitet werden kann. Dadurch haben die Musik- und Filmindustrie Probleme bekommen. Das ist jedoch möglicherweise ein Symptom unserer Übergangszeit. Ein Beispiel ist das YouTube-Portal, in das jeder Filmchen hochladen kann, die er mit urheberrechtsgeschützter Musik unterlegt. Das ist im Grunde illegal. Aber Google als Betreiber von Youtube und die GEMA stehen schon in Verhandlungen über die Höhe des Betrags, mit dem der Portalbetreiber diese Kosten für seine Kunden übernimmt. Insgesamt gilt wohl: So wie die Hacker mit ihren Hinweisen auf die Schwachstellen das Netz im Grunde stabilisieren, gibt es in diesem System zahlreiche Selbstkorrektive. Über kurz oder lang wird das System in ein Gleichgewicht kommen. Das ist aber nicht planbar. Wir können nur sich abzeichnende Trends erkennen und versuchen, sie abzumildern, was sich wiederum auf das System auswirkt. Das ist genauso wie in der Ökologie.

> „Copy & Paste“, von Thomas Dreier konzipierte Podiumsdiskussion zu Netz, Kunst und Urheberrecht mit Peter Weibel, Constanze Kurz vom Chaos Computer Club und anderen im Rahmen der Baden-Württembergischen Theatertage, So 10.7., 11 Uhr, ZKM Medientheater

aktuelle Veröffentlichungen zum Thema:

> Constanze Kurz und Frank Rieger: "Die Datenfresser. Wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurück erlangen.", S. Fischer Verlag, 272 Seiten, 16,95 Euro

> Astrid Auer-Reinsdorff, Joachim Jakobs, Niels Lepperhoff: „Vom Datum zum Dossier. Wie der Mensch mit seinen schutzlosen Daten in der Informationsgesellschaft ferngesteuert werden kann“, dpunkt.verlag, Heidelberg, 170 Seiten, 16,90 Euro