Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 02.2011
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Der Mörder ist immer der Drehbuchschreiber

Bild - Der Mörder ist immer der Drehbuchschreiber
Nein, ich mag sie nicht mehr sehen, die Krimis, die im Dutzend billiger die Fernsehkanäle verstopfen. Wenn dem Esel nichts mehr einfällt, dann fällt ihm ein Krimi ein. Das zeigt ein Blick auf den Büchermarkt wie in die Fernsehzeitschrift.
Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett, sang einst Bill Ramsey. Heute wäre es für Mimi kein Problem mehr mit einem TV-Krimi als Einschlafhilfe schon im Fernsehsessel in das Reich der Träume geschickt zu werden. So verpasst sie natürlich die Auflösung, die Überführung des Mörders. Aber soviel könnte man ihr schon mal unbesehen verraten: Der Hauptverdächtige war es nicht. Das ist eine Grundregel aller Fernsehkrimis seit den Zeiten des seligen Kommissars. Der, auf den zunächst alle Indizien hindeuten, der möglicherweise schon vorbestraft ist, kann es nicht gewesen sein, sonst wäre der Krimi schon nach fünf Minuten zu Ende. Damit der Krimilänger dauert als fünf Minuten, legen die Drehbuchautoren immer mehr falsche Fährten, bringen möglichst viele Tatverdächtige und gleich mehrere Mordmotive ins Spiel. Dann war das Opfer eben nicht nur in familiären Intrigen, sondern auch in dubiose Geschäfte verstrickt, da tut sich doch gleich ein ganzer bunter Strauß von Tatverdächtigen auf, einer verdächtiger als der andere und am Ende war es doch wieder der oder die, mit der man nicht gerechnet hat. Es sei denn, man rechnet schon damit, dass es so ist. Und damit ist auch schon die Crux der neueren Krimis benannt.
Womit man mal den Zuschauer überraschen und verblüffen wollte, das ist längst absorbiert von einer durch lange Fernsehkrimi-Erfahrung konditionierten Erwartungshaltung. Der Krimigucker weiß längst, dass es z.B. im Fall des übel zugerichteten, mehrfach vergewaltigten, ermordeten Mädchens niemals der einschlägig vorbestrafte Päderast gewesen sein kann, sondern irgendein Biedermann, am ehesten vielleicht noch der, der gerade eine Bürgerwehr gegen den vermeintlichen Kinderschänder organisiert hat. So sehr die Fantasie der Krimiautoren beim Ausdenken immer neuer Verwicklungen und Wendungen über die Stränge schlägt, die Grenzen des politisch Korrekten werden beim deutschen Fernsehkrimi so gut wie nie verletzt. Sollte es mal einen Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund geben, so wird sich bald mit ziemlicher Sicherheit seine Unschuld erweisen. Man möchte ja schließlich nicht der Ausländerfeindlichkeit bezichtigt werden, aber der deutsche Wohlstandsbürger aus besseren Kreisen mit Anzug und Krawatte, der ist in dieser Hinsicht belastbar bis zum Gehtnichtmehr und zudem bewegt er sich halt auch einfach in den fotogeneren „Locations“. Proteste von Interessenverbänden und Menschenrechtsgruppen sind nicht zu erwarten. Dass die deutschen Fernsehkrimis an der realen Kriminalität in unserem Land meilenweit vorbeizielen, geschenkt!

Wenn Karlsruhe wahlweise in Tatorten als Stuttgart oder Ludwigshafen verkauft wird, dann muss man es mit der Realitätsabbildung nicht so genau nehmen. Das wäre ja auch gar nicht weiter zu bekritteln, wenn nicht gerade die Tatort-Reihe immer noch mit dem Anspruch antreten würde, dem Publikum etwas über die Zustände in unserer Gesellschaft zu erzählen. Aber viel mehr als etwa die organisierte Wirtschaftskriminalität interessieren die Fernsehkrimimacher die Macken und die Eigenheiten der Ermittler, die ihnen so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen sollen, Gemeinsam ist allen. Sie sind unglaublich überlastet, bewegen sich am Rand des seelischen und nervlichen Zusammenbruchs. Zwar weiß man gar nicht so recht, womit sie ihre ganz normale Arbeitszeit ausfüllen, ein paar hastig ausgeführte Zweiminuteninterviews mit Zeugen und einige Telefonate mit der Gerichtsmedizin reichen ja eigentlich nicht mal hin für einen halben Achtstundentag und dennoch kann man sich sicher sein, wenn der Ermittler oder die Ermittlerin mal tatsächlich Zeit gefunden hat für ein Rendezvous, für ein Abendessen im Kreis der Lieben, für eine Party, dann klingelt schon das Handy und schon ruft der nächste Mord oder es hat sich im gerade anhängigen Fall eine so heiße Spur ergeben, dass der pflichttreue Beamte gar nicht anders kann als das Essen kalt und den Sekt warm werden zu lassen und sich schnurstracks auf den Weg zu machen. Irgendwann muss der Fall ja schließlich gelöst werden: beim großen Fernsehkrimi in 90, beim Serienkrimi in 45 Minuten. Fünf Minuten vor Schluss kommt dem Kommissar (der Kommissarin) die Erleuchtung, sei es, dass er rein zufällig, eine zielführende Beobachtung macht, dass ein Informant der Polizei etwas steckt oder ihm spät, aber nicht zu spät ein Licht aufgeht.

Sehr beliebt sind in letzter Zeit Fotos, die irgendwo an die Wand gepint sind, so dass sie den Ermittlern in die Augen fallen und sie sehen können, dass der Betreffende das Opfer gekannt haben muss, obwohl er die ganze Zeit das Gegenteil behauptete. Das ist eine Marotte die man von Krimis aus den USA übernommen hat, wo es offenbar üblich ist, die Wände mit Fotos zu spicken. Hierzulande ist das zwar nicht so, aber wenn es der Wahrheitsfindung dient, kann man schon mal fünf gerade sein lassen.

Eine beliebte Methode den Krimistoff, der etwas zu dünn ausgefallen ist, zu strecken, ist das Gerangel um die Zuständigkeit von verschiedenen Polizeibehörden (am liebsten die Konfrontation vom bodenständigen Bullen vor Ort mit dem Schnösel vom LKA), noch beliebter sind Einsprüche von oben, wenn die Gefahr besteht, dass ein hohes Tier aus Politik und Wirtschaft in den Fall hineingezogen wird, da kann dann der Kommissar seine Unbeugsamkeit vor Königsthronen beweisen mit dem Gratismut des unkündbaren Beamten. Spätestens fünf Minuten nach dem Ende des Krimis hat man schon vergessen, wer der Täter und wer das Opfer war, und leider in der Regel auch, wer dabei wirklich auf der Strecke geblieben ist: 90 bzw. 45 Minuten der eigenen Lebenszeit, unwiederbringlich, nicht wiederbelebbar. Der Zeittotschlag, das ist das Verbrechen unserer Zeit. Aber das liebe Fernsehpublikum, das in seiner Mehrheit der einzig sehenswerten Krimireihe der letzten Zeit, Dominik Grafs deutsch-russischem Mafia-Epos „Im Angesicht des Verbrechens“ die kalte Schulter zeigte, will es offenbar nicht anders. Juristisch könnte man dieses Verhalten als Begünstigung einer Straftat bezeichnen, eines Offizialdelikts namens deutscher Fernsehkrimi, das zwar von keinem Gericht, aber von Millionen von Zuschauern verfolgt wird.