Klappeauf - Karlsruhe
Archiv: 11.2008
Verschiedenes Herbies Cartoon

 

Das Fernsehen ist viel zu gut

Alle Achtung, Herr Reich-Ranicki! Es gehört schon Zivilcourage dazu, einen Preis, der einem gerade nach einer Lobrede und unter viel Beifall überreicht wurde, öffentlich zurückzuweisen, die ganze Feier drumherum als „Blödsinn“ zu bezeichnen ,was sie - nach dem, was ich davon gesehen habe – über weite Strecken war, und dann auch noch zu einem improvisierten Rundumschlag auf die Sendeanstalten, die Veranstalter des Fernsehpreises, auszuholen.
Wer sich auch nur versucht in die Situation des alten Mannes hineinzuversetzen, der weiß, dass das nicht der Gratismut eines erfolgreichen, mit allen Wassern gewaschenen und materiell saturierten Publikumlieblings war.
In mehr als neunundneunzig Prozent der Fälle hätte ein intelligenter Mensch, der mit einem solchen Preis ausgezeichnet wird, angesichts des ganzen Drumherums für sich gedacht „Was für ein Blödsinn“ und wäre trotzdem auf die Bühne gegangen, hätte sich die Trophäe geschnappt, ein paar Dankesworte abgesondert und danach wieder seinen Platz eingenommen, um den Rest des Blödsinns über sich ergehen lassen.
Das ist keine bloße Vermutung, das ist objektivierbar. Es gibt und gab neben manchen Preisträgern von bescheidenem geistigem Zuschnitt – etwa der nordischen Ulknudel Ina Müller, einer Fernsehpreisträgerin dieses Jahres, die freimütig bekannte, dass sie im Fernsehen für ihre Lieblingsbeschäftigungen bezahlt wird, Sabbeln, Saufen und Singen - eine ganze Reihe intelligenter Preisträger, die brav den Preis entgegengenommen haben. Wer beißt schon in die Hand, die einen füttert, wer stört schon die Feierstimmung, wenn man selbst gefeiert wird ´´
Aber der Respekt vor dem Partyschreck Reich-Ranicki ändert nichts daran, dass ich seine Diagnose über den Zustand des deutschen Fernsehens nicht teile. Es gibt gute Fernsehsendungen, auf einigen (öffentlich-rechtlichen) Kanälen mehr, auf anderen (privaten) Kanälen weniger, aber es reicht um sich jeden Tag einen schönen Fernsehabend zu machen – bis der Sandmann kommt.
Man muß sich nur die Mühe machen, eine Fernsehzeitschrift aufmerksam zu lesen, da finden sich Dokumentationen, Spielfilme aus fast aller Welt, Politmagazine, Diskussionssendungen (um das schreckliche Etikett Talkshow zu vermeiden), Darstellungen geschichtlicher Ereignisse (es muß nicht ja gerade von Guido Knopp sein) und sogar einige Fernsehfilmproduktionen, die das Hinsehen lohnen.
Niemand zwingt einen sich die unzähligen und unsäglichen Kochsendungen, Kuppelshows(„Bauer sucht Kuh“), Gesangswettbewerbe wie „Bohlen sucht den Superstar“, Best-Of-Listenshows, bei denen B-, C-., D- bis XYZ-Promis ihren Senf zu den Hits der letzten Jahrzehnte geben, Zoosendungen („Tiere hinter Gittern“), TV-Schmonzetten a la Rosamunde Schönauer, Reality-Soaps (auf deutsch „Wirklichkeitsseifen“), Festivals der lederbehosten „Volksmusik“, kurzum diesen ganzen feuchten Dreck anzusehen.
Das Fernsehen selbst scheint dem denkenden Zuschauer zu sagen, schalt mich doch einfach mal aus, geh spielen mit deinen Kindern, lies ein gutes Buch, beweg dich mal in der freien Natur. Es gab früher keine bessere Sendungen als jetzt und es gab auch nicht mehr davon. Es gab nur einfach viel weniger Fernsehen. Die älteren werden sich noch erinnern: Um 17 Uhr ging das Fernsehprogramm los, um Mitternacht war Sense und das an allen drei verfügbaren Programmplätzen. Die Late Night Show – das war damals Kulenkampff mit seinen „Nachtgedanken“. Es gab einfach keinen Platz und nicht die Sendezeit für den vielen Mist, der nun schon seit geraumer Zeit rund um die Uhr versendet wird.
Das verschiebt aufs Ganze gesehen, die Proportionen zwischen Qualititätsware und Ramsch zu Gunsten des Letzteren und verstellt möglicherweise den Blick auf Ersteres. Aber das ändert überhaupt nichts daran, dass das Fernsehprogramm kein Einheitsbrei ist, der durch viele Köche verdorben werden kann, keine Suppe, die dadurch ungenießbar wird, dass jemand reingespuckt.
Die Qualität eines guten Films wird nicht dadurch beschädigt, dass in anderen Programm zeitgleich Bockmist angeboten wird, ja, nicht einmal dadurch, dass vorher und nachher im selben Programm minderwertiges Zeug präsentiert wird. Was für eine schöne Gelegenheit mit dem Ein- und Ausschaltknopf dem eigenen Fernsehabend eine klare Struktur zu geben.
Wer sich einfach so durchs Programm „zappt“ und dabei zu dem Schluß kommt, dass schon wieder das Abendland untergegangen ist, der verkennt, dass er selbst ein Teil des Problem ist, dass er, der Bildungsbürger, selbst schon zum modernen Zappelphilipp mutiert ist, der mit der Fernbedienung in der Hand besinnungs- und gedankenlos durch die Überfülle des Programmangebots taumelt, anstatt sich einfach vorher zu informieren und gezielt das auszuwählen, was ihn interessiert. Dabei könnte man sogar feststellen, dass ARD, ZDF, die Dritten, Arte, 3 Sat und die diversen öffentlich-rechtlichen Digitalkanäle genügend Stoff nicht nur für einen Fernsehabend, sondern für einen ganzen Fernsehtag auf relativ hohem Niveau bieten.
Ein Glück, dass das Marcel Reich-Ranicki bislang nicht bewußt geworden ist, sonst käme er nicht mehr zum Lesen.